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2046 beträgt der Anteil der Katholiken in Wien nur 30 Prozent, jener der Muslime wird sich mit 21 Prozent fast verdoppeln.
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Wien. Wenn man keine aktuelle Datengrundlage hat, dann kann man sie sich ausrechnen: Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat im Zuge des Wirel-Projektes die Struktur der Religionszugehörigkeit in Wien bis 2046 hochgerechnet. Das Ergebnis: Im Jahr 2046 beträgt der Anteil der Katholiken in Wien nur noch 30 Prozent, jener der Muslime wird sich bis dahin mit 21 Prozent fast verdoppelt haben.
"Voraussetzung ist natürlich, dass sich nicht sehr viel in Sachen Fertilität, Migration, Mortalität, aber auch bei der Säkularisierung verändert sowie bei der Weitergabe von Religion von den Eltern an die Kinder", erklärt Projektmitarbeiter Ramon Bauer in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Zuwachs nicht über Migration
Den steigenden Anteil der Muslime relativiert der Experte allerdings: "Es gibt tatsächlich einen starken Anstieg bis in die Mitte der 2030er Jahre auf knapp 20 Prozent, aber dann geht er wieder sehr stark zurück und flacht ab." Überdies würde der Zuwachs nicht über Migration passieren, denn die Migration sei im Sinken begriffen: "Wien und die Türkei haben eine fast ausgeglichene Migrationsbilanz. Das heißt, so viele, wie kommen, gehen auch wieder." Es gebe einfach nur mehr potenzielle Eltern unter den Muslimen als bei den Katholiken. Aber auch seien rückläufige Tendenzen zu beobachten, da die Geburtenzahlen bei Muslimen seit Jahrzehnten zurückgehen würden, erklärt Bauer.
Und auch bei den Katholiken sei bereits jetzt der Zenit an Austritten erreicht. "Wir gehen davon aus, dass es eine gewisse Gruppe gibt, die nicht säkularisieren wird. Es gibt sozusagen einen harten Kern, der selbst bei großen Skandalen nicht austreten würde", meint Bauer. Säkularisierung bei Moslems könne man allerdings in der Forschung nicht beurteilen, schließlich gebe es keine Stelle, wo ein Moslem hingeht und sagen kann: Ich trete jetzt aus, betont der Experte.
Zahlenbasis aus 2001
Insofern ist Bauer nicht so glücklich damit, dass sich jetzt die Medien nur auf die Zahlen von Katholiken und Moslems stürzen; das sei schließlich nichts Neues. Neu sei, dass die orthodoxe Gruppe mit knapp 10 Prozent sehr stark ist - Tendenz steigend. Etwa weil es sich um vergleichsweise junge Religionen handle und muslimische Jugendliche zu den religiösesten ihrer Altersklasse gehören.
Im Übrigen muss auch die Gegenwart hochgerechnet werden. 2011 gab es in Wien 41 Prozent Katholiken und 12 Prozent Muslime (siehe Grafik). Hochgerechnet muss deswegen werden, weil das letzte konkrete Datenmaterial aus dem Jahr 2001 stammt. In diesem Jahr fand die letzte offizielle Volkszählung mit Religionszugehörigkeitserfassung statt. Danach wurde die Methodik der Volkszählung geändert. Seitdem gibt es keine Fragebögen mehr, sondern es werden Zahlen aus Datenbanken beziehungsweise Register zu Volkszählungen verknüpft - der sogenannte Mikrozensus. Daten zur Religion oder zur Umgangssprache werden dabei nicht mehr erhoben.
Das bestätigt man auch in der Statistik Austria. Lediglich bei einem Modul der Arbeitskräfteerhebung 2014 sei die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit beziehungsweise ohne Migrationshintergrund befragt worden. Aber hier habe die Frage nur gelautet: "Ist Ihre Herkunft, Religion oder Ihr sozialer Hintergrund ein Hindernis? Ja oder nein."
Dass die vorliegende Hochrechnungen über Religionen deswegen nicht aussagekräftig sei, will man bei der Statistik Austria aber nicht behaupten "Wir präsentieren ja auch eine Bevölkerungsprognose bis ins Jahr 2070. Es kommt natürlich immer auf die Qualität einer solchen Hochrechnung an", heißt es.
Und die sei bei Wirel auf alle Fälle gegeben, versichert Ramon Bauer. Im gesamten Forschungsprojekt sei die Bevölkerung seit 2001 jedes einzelne Jahr rekonstruiert worden - mit qualitativen Studien und Detail-Interviews. "Als Triebkräfte der religiösen Veränderung haben wir in der Vergangenheit vor allem Säkularisierung und Migration identifiziert. Und für die Zukunft wird das Geburten- und Partnerschaftsverhalten ausschlaggebend sein", sagt der Wissenschafter.
Es wurde weiters erhoben, warum so viele Menschen aus der Kirche ausgetreten sind. Gemessen wurden auch Geburtenhäufigkeiten der verschiedenen Gruppen und die Migration in der Vergangenheit. "Als wir genug Daten hatten, konnten wir dann Annahmen treffen. Darum geht es bei solchen Bevölkerungsprojektionen - das ist keine Vorausschau durch die Glaskugel, sondern ein Trendszenario, das wir aufzeigen", sagt Bauer.
Katholiken am Stadtrand
Es seien auch bestimmte Annahmen mit der Statistik Austria geteilt worden - so habe man etwa deren Fertilitätsziffern herangezogen, diese aber auf unterschiedliche Ethnien angewandt. Trotzdem komme man nahezu auf dieselbe Gesamtbevölkerungsanzahl im Jahr 2046 wie die Statistik Austria, wird betont.
Neben Trends und Zahlen hat sich Wirel auch die geografische Verteilung der einzelnen Glaubensgemeinschaften und Ethnien angesehen. Demnach lebt der Großteil der Wiener in gemischten Grätzeln, Ghettos gebe es nicht. Grundsätzlich gelte: Je innerstädtischer und dichter besiedelt, desto diverser. Nur an den wenig besiedelten Stadträndern gebe es noch einen hohen Anteil an Katholiken.