Integrationsexpertin Tülay Tuncel im Interview. | "Demokratiefeindliche Strömungen müssen gestoppt werden." | "Wiener Zeitung": Laut Mouhanad Khorchides Studie lehnt jeder fünfte Islamlehrer in Österreich Demokratie ab. Was läuft falsch?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Tülay Tuncel: Es war nicht richtig, jeden auf die Schüler loszulassen, der Moslem und gewillt ist, Kinder zu unterrichten. Auch wurden die Voraussetzungen für diese Pädagogen beziehungsweise Nicht-Pädagogen nicht geprüft. Jeder, der in einer österreichischen Schule unterrichten möchte, müsste ein Minimum an pädagogischer Qualifikation nachweisen.
Offenbar gab es auch in Schulbüchern gewaltverherrlichende Bilder.
Man hat den Eindruck, dass alle - auch die Politik und der Stadtschulrat - davon wussten, aber nicht darauf reagierten. Dieses Buch wurde vor der Zulassung nämlich von unterschiedlichen Stellen begutachtet. Das zeigt, wie unsensibel hier vorgegangen wurde. Die Autonomie der islamischen Glaubensgemeinschaft, über all diese Dinge in eigener Verantwortung entscheiden zu können, hat das Ganze in eine falsche Richtung gelenkt. Es muss unabhängige staatliche Instanzen geben. Ausbildner und Fachinspektoren müssen dazu bereit sein, zu kritisieren, Fehler aufzuzeigen und, wenn nötig, an die Medien zu gehen. Es gab ja in der Geschichte der islamischen Gemeinschaft schon einige Schulbücher mit antidemokratischen, gewaltverherrlichenden Inhalten.
Welche Lösungsansätze gibt es außer staatlicher Kontrolle?
Religion per se hat in diesem Jahrhundert in den staatlichen Schulen wenig verloren. Vielmehr sollte es darum gehen, Schüler auf der Ebene der Ethik und auf jener der interkulturellen Konfliktlösung auszubilden. Vielleicht findet man einen Weg, den Religionsunterricht nicht an einer einzigen Religion festzumachen, sondern Religion als eine Wissenschaft und als eine Realität, die die Menschheit seit Jahrhunderten prägt, zu begreifen. Gerade der Islam ist in vielen Bereichen auch eine politische Einstellung: Wenn man hier keine klaren Grenzen zieht, kann das sehr gefährlich werden.
Ist die Kritik an Chef der Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), Anas Schakfeh, berechtigt?
Es ist nicht korrekt, das ganze Problem auf eine Person zu überwälzen. Es ist eine Tatsache, dass es hier strukturelle Probleme und Änderungsbedarf gibt. Man muss auch die repräsentative Berechtigung der IGGiÖ hinterfragen, denn viele Muslime fühlen sich von ihr nicht repräsentiert. Ich denke, dass eher die Politik so eine Organisation benötigt als die Muslime selbst.
Sie wollen die IGGiÖ durch ein politisches Gremium ersetzen?
Ich frage mich nur, ob man überhaupt eine derartige Struktur braucht. Derzeit ist ein Syrer an der Spitze der Glaubensgemeinschaft - wenn man nun an einer Struktur arbeitet, wird die demografisch stärkste Nation den Präsidenten stellen wollen. Es werden hier sicher ernst zu nehmende, bedrohliche Machtspiele gespielt werden. Ich denke nicht, dass es eine islamische Religionsgemeinschaft geben muss. Aber sehr wohl braucht man eine Dialogbasis mit Vertretern der islamischen Gemeinschaften.
Wie schätzen Sie die Radikalisierung von Muslimen ein?
Ich möchte nicht schwarzmalen. Aber Tatsache ist, dass in ganz Europa ein ernst zu nehmender Trend zur Radikalisierung zu verzeichnen ist. Auch hier braucht es sehr klare Grenzen. Wir dürfen integrationshemmende Strömungen definitiv nicht unterstützen. Wenn in der Moschee Hass gepredigt wird, wenn demokratiefeindliche Lehrer auf die nächste Generation von Menschen mit Migrationshintergrund losgelassen werden, stärkt man dieses rückschrittliche System.
Reicht es, integrationshemmende Trends nicht zu unterstützen oder muss man sie aktiv unterbinden?
Sowohl als auch. Demokratiefeindliche Strömungen müssen gestoppt werden, man muss aber Sensibilität bewahren. Eine falsche Auslegung von Toleranz ist genauso gefährlich wie das Nicht-Sehen-Wollen von all diesen Strömungen. Das, was jetzt auf den Tisch gekommen ist, hat man schon im September gewusst. Warum hat man nicht bereits damals die Notbremse gezogen?
Ist der muslimische Glauben ein Integrationshemmnis?
Nein, ich denke, dass Religionen auch etwas sehr Harmonisches haben können. Das ist aber gerade beim Islam ein bisschen schwierig, weil er sehr unterschiedlich interpretiert wird.
Tülay Tuncel ist gebürtige Kurdin. Sie lebt seit 1990 in Österreich und ist stellvertretende Vorsitzende des Linzer Integrationsbeirats.