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Der österreichische Nachkriegskonsens beruht auf der Basis der Kooperation von Kirche und Staat.
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"Das Schicksal setzt den Hobel an und hobelt alle gleich." Diese Zeile aus dem Hobellied, dem wahrscheinlich bekanntesten Musikstück aus Ferdinand Raimunds "Der Verschwender", kommt einem in den Sinn, wenn man das Erkenntnis des Verfassungsgerichts bezüglich der Untersagung kultureller Veranstaltung im Corona-Lockdown im November und Dezember 2021 betrachtet. Denn das Höchstgericht bezeichnet die in dieser Zeit möglich gewesene Abhaltung von Gottesdiensten als gesetzeswidrig. Der Verfassungsgerichtshof begründet dies mit der seiner Meinung nach bestehenden Gleichwertigkeit der Grundrechtsausübung von Religion und Kunst.
Kritik an dieser Entscheidung kam nicht nur von der katholischen und der evangelischen Kirche, sondern auch von Juristen, die nicht im Sold von Religionsgemeinschaften stehen. Es wurde darauf verwiesen, dass die Religionsausübung zum inneren Bereich der Religionsgemeinschaften gehört, was bereits im Artikel 15 des Staatsgrundgesetzes von 1867 geregelt ist. Daraus folgt ihrer Meinung nach schon eine unterschiedliche rechtliche Basis für Kunst und Religionsausübung. Dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs wird daher noch eine längere Auseinandersetzung in juristischen Kreisen nach sich ziehen, zumal es ja auch in einem größeren Kontext von als problematisch gesehenen Sprüchen, wie etwa jenem zur Sterbehilfe gesehen wird. Es wird argumentiert, der Verfassungsgerichtshof habe mit dieser Entscheidung das Feld der Rechtserkenntnis verlassen und sich auf das ihm eigentlich nicht zustehende Feld der Rechtspolitik begeben.
In den folgenden Überlegungen soll es aber nicht primär um verfassungsrechtliche Fragen gehen, sondern um die Aufgaben, die Religionsgemeinschaften in Staat und Gesellschaft übernehmen. Österreich ist im Unterschied etwa zu Frankreich kein laizistischer Staat mit einer strikten Trennung von Kirche und Staat. Freidenker und Antiklerikale haben hierzulande niemals eine große Bedeutung gehabt, nicht einmal in der Zwischenkriegszeit, und die führende Rolle der katholischen Kirche in der Gesellschaft stand trotz des Rückgangs an Gläubigen nie ernsthaft in Frage. Der österreichische Nachkriegskonsens beruht auf der Basis der Kooperation von Kirche und Staat.
Zusammenarbeit in Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich
Diese Zusammenarbeit besteht weiterhin in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales. So findet in unserem Land der Religionsunterricht in den Schulen und nicht in Hinterhöfen statt. Der Staat übernimmt die Bezahlung der Religionslehrkräfte und hat dafür sowohl die Kontrolle über Lehrpläne und Schulbücher als auch die pädagogische Aufsicht. Überdies leisten die konfessionellen Schulen nicht zuletzt aufgrund ihrer nunmehr sehr gemischten Schülerpopulation einen wesentlichen Beitrag zum österreichischen Bildungswesen und übernehmen Integrationsaufgaben in einem Ausmaß, in dem der Staat diese nicht bewältigen kann.
Im Gesundheitswesen Tätige wissen, dass das österreichische Spitalswesen ohne die außergewöhnlichen Leistungen in der Spitzenmedizin der von religiösen Trägerorganisationen geführten Krankenhäuser nicht auskommen könnte. Aber auch in der Palliativmedizin sind sie oft weit und breit die Einzigen mit einem entsprechenden Angebot. Man mag öffentliche Äußerungen von Funktionären der Caritas goutieren oder nicht, aber das Netz, das diese Organisation unter manche Löcher des staatlichen Sozialsystems spannt, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Dies erleben wir gerade wieder jetzt, als in den Zeiten der Teuerung die Abgabe von Lebensmitteln ungeheuer angestiegen ist. Manchen ist überhaupt nicht bewusst, dass es sich bei der Caritas um eine Einrichtung der katholischen Kirche handelt. Die evangelische Kirche mag nur noch eine eher kleine Zahl von Gläubigen umfassen, aber die Diakonie ist eine wichtige Hilfsorganisation geblieben.
Wenn man sich all diese Leistungen vor Augen führt, wird man wohl die Irritation von Kirchenvertretern über die Vorgangsweise des Verfassungsgerichtshofs verstehen. So monierte die evangelische Kirche, nicht einmal gehört worden zu sein - das Höchstgericht fand es also nicht der Mühe wert, sich über die Gestaltung der Gottesdienste überhaupt zu informieren. Es hätte in Erfahrung bringen können, wie sorgsam und zurückhaltend man vorgegangen ist. Auch die stetig wachsende Islamische Glaubensgemeinschaft hat diesbezüglich große Opfer gebracht.
Bei der Unterlassung, Informationen von Betroffenen einzuholen geht es nicht bloß um einen möglichen juristischen Mangel, sondern um fehlende Sensibilität. Bei allem Respekt für ein Höchstgericht - Erkenntnisse sind nun einmal zu akzeptieren - ist es nicht sakrosankt, sondern darf auch kritisiert werden. Die staatlichen Einrichtungen haben jedenfalls deutlich signalisiert, den Weg der Kooperation fortsetzen zu wollen. So hat die für Kultus zuständige Ministerin Susanne Raab (ÖVP), ohne den Verfassungsgerichtshof direkt zu kritisieren, auf die Bedeutung der Religion für die Menschen gerade in Zeiten der Pandemie hingewiesen.