Lokalaugenschein im Gemeindebau: | Vorurteile gegen Türken spalten Bewohner.
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Wien. Unmerklich zwischen der Simmeringer Hauptstraße und der Kaiserebersdorfer Straße gelegen, befindet sich der Gemeindebau "Am Thürnlhof" - an und für sich eine Siedlung, in der es eher ruhig und gemütlich zugeht.
Dennoch kommt es auch hier mitunter vor, dass sich so manch alteingesessener Wiener noch immer darüber echauffiert, dass Menschen mit Migrationshintergrund ein Anrecht darauf haben, neben und mit ihm in ein und derselben Wohnhausanlage zu wohnen. Dann wird aus dem Fenster oder vom Balkon runtergeschrien: "Unter der FPÖ würd’s des net geben!" Oder: "A Rua is do, ihr Türken könnt’s gleich hamgehn!" Gefolgt von der kleinlaut geäußerten Hoffnung auf den Sieg der FPÖ bei der nächsten Wahl. Zu physischen Übergriffen aufgrund der Herkunft komme es glücklicherweise nicht, erzählt ein Bewohner.
Die Klimax erreichen die Schimpftiraden demnach traditionell während des Fastenmonats Ramadan, wenn sich abends die muslimischen Mitbewohner mit Freunden und Familie zum Iftar (Fastenbrechen) treffen. Dass da hin und wieder der Lautstärkenpegel das sensible Gehör der islamunkundigen Bewohner unangenehm erreicht und diese mit Unverständnis reagieren, passiert nicht selten. Trotzdem bleibt das Ausmaß überschaubar - auch, weil die Iftar-Zusammenkünfte in den vergangenen Jahren seltener und leiser geworden sind, vermutet ein weiterer Bewohner.
Unter den Kindern und Jugendlichen spielt der Migrationshintergrund zumeist keine besondere Rolle, "außer bei Türken", sagt die 17-jährige Sabrina. "In meiner Clique sind Rumänen, Polen, Serben, Österreicher, aber kaum Türken. Mit ihnen ist es immer schwer. Ihre Religion ist immer zu stark im Vordergrund. Außerdem wollen sie meist untereinander bleiben."
Ihre Clique hängt kaum noch im Gemeindebau herum, sondern am angrenzenden Leberberg. Die viel zu klein geratenen Parkanlagen waren früher mehr ethnisch durchmischt, "aber in dem Park vor meiner Wohnung sind jetzt fast nur noch türkische Kids", sagt Sabrina. Sie habe zwar nichts gegen Türken, und sie würden einander auch begrüßen, aber da viele schlecht deutsch sprechen, bleibe der Kontakt sehr oberflächlich. Sabrina stört außerdem, dass die Personen mit türkischem Migrationshintergrund im Gegensatz zu anderen Migranten "wenig Anpassungswillen" zeigen. Als Beispiel nennt sie das Tragen von Kopftüchern.
Doppelmoral in Wien
Der 23-jährige Ergün, der ausgezeichnet deutsch spricht, hat wiederum zwar viele österreichische Freunde, fühlt sich aber unter den türkischen Kollegen mehr akzeptiert. "Bei denen muss ich mich nicht ständig für meine Religion rechtfertigen - und auch nicht dafür, dass meine Mutter ein Kopftuch trägt." Ihm geht es auf die Nerven, dass das Kopftuchtragen als Integrationsunwille ausgelegt wird. Außerdem kritisiert er, dass in Wien allgemein eine Doppelmoral herrscht: "Wenn die Österreicher einmal laut sind, da regt sich kaum einer auf. Wenn wir einmal laut sind, dann wird sofort ‚Scheiß Türken‘ geschimpft oder mit der Polizei gedroht." Im Gemeindebau "Am Thürnlhof" ist es für ihn "noch okay - in anderen Bezirken ist es viel schlimmer".
Auch Ergün versteht sich mit den meisten Nachbarn gut, man begrüße einander immer höflich, meint er. Als sich vor kurzem eine Nachbarin über zu starken Lärm aus seiner Wohnung aufregte und dies der Gemeinde meldete, ging Ergün im gesamten Stiegenhaus Unterschriften sammeln, um seine Unschuld zu beweisen. "Da haben fast alle Nachbarn unterschrieben und über die eine Nachbarin nur noch den Kopf geschüttelt", erzählt er.
Jedoch seien auch im Gemeindebau "Am Thürnlhof" längst nicht alle Vorurteile abgebaut, sind sich die Betroffenen einig. Zwar habe sich die allgemeine Stimmung gegenüber Ausländern ein wenig verbessert, die Ressentiments gegenüber den Mitmenschen mit türkischem Migrationshintergrund seien aber weiterhin spürbar. Die Anfeindungen drehen sich ihren Aussagen nach zumeist um das von gewissen politischen Parteien konstruierte Feindbild "Islam", um pauschalisierende Vorwürfe über mangelnde Deutschkenntnisse türkischstämmiger Migranten sowie um deren "nicht vorhandenen Anpassungswillen".
Migranten gegen Migranten
Ivana (41) aus Ex-Jugoslawien meint sogar, dass sich Personen mit anderen Migrationshintergründen immer häufiger am "Türken-Bashing" beteiligen. "Wir Jugos passen uns zumindest an und sprechen gutes Deutsch. Die Türken aber wollen sich nicht anpassen und reden schlecht deutsch", so Ivana. Trotzdem geht sie in ihrem Park aber auch hin und wieder mit türkischen Müttern einen Kaffee trinken. Das seien aber "die angepassten Türkinnen ohne Kopftuch", wie sie erklärt.