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"Rennfahrer sind heutzutage Befehlsempfänger"

Von Herbert Hutar

Reflexionen

Der Auto- und Motorsportexperte Martin Pfundner erzählt von den Anfängen der Formel 1 in Österreich und von seiner Freundschaft mit Jochen Rindt.


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"Wiener Zeitung": Herr Pfundner, Sie gelten als der Mann, der vor mehr als 50 Jahren die Formel 1 nach Österreich gebracht hat. Wie verbringen Sie das nächste Wochenende, an dem am Red Bull Ring der Große Preis von Österreich gefahren wird?Martin Pfundner: Wahrscheinlich zu Hause oder bei Freunden, aber mit Sicherheit nicht beim Rennen selbst, weil es für mich schmerzlich wäre, jetzt, sozusagen als unbekanntes Leitfossil, dort herumzulaufen, wo ich vor einigen Jahrzehnten alle Fahrer, Teammanager und Funktionäre noch mit Vornamen gekannt habe. Weil das heute nicht mehr so ist, gehe ich nicht mehr hin. Aber dem Motorsport fühle ich mich nach wie vor verbunden.

Wie sind Sie überhaupt zum Motorsport gekommen?

Zuerst einmal hat mich mein autobegeisterter Vater 1951, als ich 21 war, als Beifahrer zur Österreichischen Alpenfahrt mitgenommen. Ich fuhr dann teils mit meinem Vater, teils mit anderen Leuten rund 30 Rallyes. Das Interesse an Grand-Prix-Rennen war immer schon vorhanden, und dann hat mir der legendäre Motorjournalist Hans Patleich (der unter dem Pseudonym Hans Christmann schrieb, Anm.) ein Schreiben an den Automobilclub von Deutschland mitgegeben, für den Großen Preis von 1954, dass ich Korrespondent für die Zeitung "Austro Motor" bin. Und so bin ich in meiner Studentenzeit ins Schreiben hineingerutscht. Im Lauf der Jahre habe ich mir ein internationales Netzwerk aufgebaut, mit Fahrern, Teamchefs und Funktionären. So ist es dazu gekommen, dass der 1957 neu gegründete ÖASC (Österreichischer Automobil Sport Club, Anm.) Veranstaltungen auszurichten hatte, u.a. die Semperit-Rallye und das Gaisbergrennen bei Salzburg - und dann war natürlich die Frage, ob wir nicht auch ein Rundstreckenrennen veranstalten können. Straßenrennen, sozusagen rund um den Kirchturm, waren nach schweren Unfällen mit toten Zuschauern in Le Mans (1955) und Italien (bei der Mille Miglia 1957) in Österreich verboten. Die Zuschauer waren von den Autos ja kaum getrennt. Ich war Schriftführer und wusste, dass der englische Grand Prix in Silverstone auf einem alten Flugplatz gefahren wird. Ich konnte die oberste Sportkommission überzeugen, dass das auch in Österreich mit den nötigen Sicherheitsvorkehrungen machbar wäre. Und so kam es dann 1957 unter meiner Leitung zum ersten internationalen Flugplatzrennen für Autos auf dem europäischen Kontinent, und zwar in Aspern in Wien.

War das Rennen ein Erfolg?

Es war ein ziemlicher Erfolg. Es war auch ein günstiger Moment, denn 1955 wurde in Österreich der Automobilimport liberalisiert. Das bedeutete eine Preissenkung von bis zu 50 Prozent. Plötzlich war ein Volkswagen oder kleiner Fiat Topolino erschwinglich. Bis dahin hatten die Leute eigentlich nur Motor- und Fahrräder. Und das hat den Grundstein für die Begeisterung für das Asperner Autorennen 1957 gelegt.

Wie ist es dann zum ersten Formel-1-Rennen in Österreich gekommen?

Da muss ich vorausschicken: Nicht jedes Formel-1-Rennen war ein Großer Preis - und nicht jeder Große Preis zählte zur Weltmeisterschaft! Und Automobilweltmeister konnte man damals auch in der Formel 2 werden. Bemerkenswert war der erste Formel-1-Auftritt von Stirling Moss 1961 in Aspern, aber das war kein Weltmeisterschaftslauf. Im Herbst desselben Jahres habe ich ein Formel-1-Rennen in Zeltweg organisiert, mit prominenter Besetzung, aber erst Jahre später sollte uns ein Großer Preis mit Weltmeisterschaftspunkten gelingen.

Sie waren in Zeltweg Rennleiter, als es 1960 einen dramatischen Zwischenfall gegeben hat . . .

. . . ja, bei dem Rennen 1960 waren wir alle, Veranstalter und Behörden, vom unglaublichen Zuschauerzustrom buchstäblich überfahren. Denn bis dahin hat es einen Star wie Stirling Moss (insgesamt 16 Grand-Prix-Siege, Anm.) in der Steiermark noch nicht gegeben. Gegen Ende des Rennens sind Zuschauer unter der Absperrung durchgekrochen, und da wurde es kritisch, sodass ich das Rennen drei Runden vor Schluss abgebrochen habe.

Mit welchem Echo in der Öffentlichkeit?

Die Entscheidung war unumstritten, es wäre zu gefährlich geworden. Im Herbst 1961 hatte ich bereits das gesamte Grand-Prix-Feld in Zeltweg. Das war eine ganz andere Dimension und hat ziemliches Aufsehen erregt. Im Jahr 1963 gab es dann zum ersten Mal einen Großen Preis von Österreich in der Formel 1, aber noch ohne Weltmeisterschaftsstatus. Die FIA (Federation Internationle d’Automobile, Anm.) hat erst 1964 dem ersten Großen Preis von Österreich als Weltmeisterschaftslauf zugestimmt.

Aber danach war gleich einmal Pause . . .

. . . ja, denn es hat sich klar der Unterschied zwischen einem Rennen mit und ohne Weltmeisterschaftspunkten gezeigt. 1963 waren im Wesentlichen die gleichen Autos am Start wie 1964, es gab aber kaum Schäden an den Fahrwerken. 1964 wurde aber viel härter gefahren, weil es um Punkte ging, und da hat sich herausgestellt, dass die Rumpelpiste in Zeltweg zu viele Fahrwerksschäden hervorruft.

Das war die entscheidende Weichenstellung vom Flugplatzrennen zum Österreich-Ring?

Ja. Ab 1965 wurde kein Formel-1-Rennen mehr gefahren. Der Ruf danach wurde aber immer lauter, und so entstand der Plan einer permanenten Rennstrecke. Es hat bis 1969 gebraucht, bis nicht nur eine, sondern zwei permanente Rennstrecken in Österreich in Betrieb gegangen sind. Das war ebenso kurios wie typisch österreichisch: Erst die Konkurrenz zwischen Salzburg und der Steiermark unter lautstarker Beteiligung der Landeshauptleute hat - erstens - die öffentliche Meinung zugunsten einer permanenten Rennstrecke aufbereitet und - zweitens - zum Bau sowohl des Österreich- als auch des Salzburgrings geführt. Die Rückkehr der Formel 1 nach Österreich erfolgte dann 1970, kurz vor dem Tod von Jochen Rindt.

Sie hatten ein enges persönliches Verhältnis zu Jochen Rindt.

Ja, ich habe ihn gut gekannt, konnte ihm auch beim Einstieg in die Formel 2 helfen. Er war oft zu Gast bei mir, und es war eine echte Freundschaft.

Wie haben Sie sich kennen gelernt?

Ich habe ihn bei seinem ersten Auftritt bei einem Flugplatzrennen in Innsbruck kennen gelernt, da war er noch keine 20 Jahre alt. Er ist ziemlich abgerissen dahergekommen: statt Schuhbändern hat er Spagat verwendet; außerdem hat er die Nennung zu spät abgegeben und ist nur gnadenhalber mit seinem damaligen Simca angenommen worden. Er war disziplinlos, ist im Training dreimal verwarnt worden. Der Eindruck war: ein schrecklicher Lausbub. Aber er hat mich ein halbes Jahr später, bei seinem zweiten Start, eines Besseren belehrt. Das war in Aspern, und Jochen hatte eine getunte Alfa Giulietta. Dieses Tourenwagenrennen hat er gegen zwei Jaguar und einen 220er Mercedes gewonnen. Da habe ich meinen Hut gezogen, weil ich gesehen habe: Er kann es. Er fuhr natürlich immer noch mehr quer als gerade, aber er ist nicht hinausgeflogen.

Wie haben Sie ihm zur Formel 2 verholfen?

Er wollte höher hinaus, und er hat mich um Rat gefragt. Ich konnte ihm von meinem Freund Jack Brabham (dreifacher Weltmeister und Konstrukteur, Anm.) einen ziemlich neuen Formel-2-Wagen beschaffen, und damit hat er dann 1964 in Crystal Palace in London den amtierenden Weltmeister Graham Hill geschlagen. Das war ein sensationeller Erfolg.

1970 auf dem Österreich-Ring ist es für Rindt nicht so gut gelaufen?

Er ist ausgefallen. Die Ferraris waren auf der sehr schnellen Strecke am Österreichring eindeutig im Vorteil, Jochen Rindt hat versucht, mit seinem Lotus mitzuhalten, dabei ging sein Motor kaputt, und Ferrari hat einen Doppelsieg herausgefahren.

War er da immer noch der "disziplinlose Lausbub"?

Nein, er hat sich besser gekleidet und angepasst, und er hat begriffen, was für ein Weiterkommen nötig ist. Von seiner Herkunft aus vermögender Familie waren ihm gute Sitten ja nicht fremd. Übrigens konnte ich auch Niki Lauda später zu einem Formel-2-Auto verhelfen . . .

Wie wurden damals, also bis in die Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, die Fahrer engagiert? Die waren ja nicht an Teams vertraglich fix gebunden.

Man musste damals als Veranstalter wissen, welche Teams und Einzelfahrer zu welchen Konditionen zu haben sind. Außerdem war wichtig, ein Gesamtkonzept für das Rennen zu haben. Da gab es oft ein lustiges Tauziehen um die Startgelder. Ich hatte in erster Linie die Fahrer heranzubringen. Und als Rennleiter habe ich auch die Fahne geschwungen.

Später hatten Sie auch wichtige internationale Funktionen im Rennsport.

Ich wurde 1964 in die FIA gewählt, und bin dort bald Vizepräsident der Sportkommission geworden. Ab 1965 habe ich keine Rennen mehr veranstaltet, das hätte zu Interessenskonflikten geführt. In der FIA habe ich dann gemeinsam mit zwei Kollegen zwischen den Teams und den Veranstaltern der Formel 1 vermittelt, sodass es jedes Jahr zu Kollektivverträgen kam.

Wann und wie kam Bernie Ecclestone ins Spiel? Der war ja auch einmal Fahrer.

Als Fahrer war Ecclestone keine Berühmtheit, aber er war 1970 Berater und Manager von Jochen Rindt. In den Siebzigerjahren ist es ihm gemeinsam mit Max Mosley gelungen, die Kontrolle über die Formel 1 in die Hand zu bekommen. Ecclestone und Mosley hatten das Konzept, den Veranstaltern die Kontrolle über die Rennen wegzunehmen und eine professionelle Sache aufzuziehen. Sie haben jeden einzelnen Veranstalter im letzten Moment, also meistens beim ersten Training, wenn das Publikum schon da gewesen ist und gezahlt hatte, mit Konditionen unter Druck gesetzt. Wir in der FIA wollten als Gegengewicht eine Firma der Veranstalter mit Sitz in der Schweiz gründen. Dieses Konzept ist von den alten Herren in der FIA torpediert worden, die meinten, das sei ein Amateursport, wir machen keine Firma. Und so wurde ein Veranstalter nach dem anderen ausgebremst, und die Formel 1 ist von Ecclestone und seinen Verbündeten übernommen worden. Der Formel 1 hat das übrigens nicht geschadet - sie hat dadurch an Bedeutung immens gewonnen.

In der Formel 1 hat es viele Regeländerungen gegeben. Welche sehen Sie als besonders entscheidend an?

Anfangs hieß es nur: Motoren mit so und so viel Kubikzentimetern mit oder ohne Kompressor, ein bestimmtes Gewicht - und das war’s. Dann kamen technische Entwicklungen in der Aerodynamik auf, wie etwa die hohen Flügel, die abbrechen und furchtbare Unfälle verursachen konnten. So gab es auch da bald neue Spielregeln. Dann kam die elektronische Revolution mit Motorsteuerung; da war es nicht mehr damit getan, den Hubraum festzusetzen. Da mussten weitere zusätzliche Spielregeln geschaffen werden. Heute steckt so viel mehr Geld drinnen, sodass die raffiniertesten High-Tech-Lösungen möglich geworden sind, die mit der Technik vor 50 Jahren überhaupt nicht mehr zu vergleichen sind.

Ist die Formel 1 ein völlig abgehobener Zirkus, bloß Imageträger für die Industrie, oder doch eine verlängerte Entwicklungsabteilung mit Ergebnissen für Serienautos?

Es gibt viele Beispiele für technische Fortschritte aus der Formel 1 heraus, ich nenne hier nur die Scheibenbremse. Heute ist es kaum vorstellbar, aber es gab in der Formel 1 auch einmal ein Werbeverbot. Das ist nach 1970 schrittweise gefallen. In den letzten zwei, drei Jahren ist deutlich geworden, dass das Tun und Treiben der Piloten mehr und mehr eingeschränkt wird, dass sie eigentlich von Computern ferngesteuert werden. Ich habe heute den Eindruck, nicht der beste Fahrer gewinnt die Weltmeisterschaft, sondern die beste Software im besten Auto. Und damit sind sie eigentlich kaum mehr Rennfahrer, sondern Befehlsempfänger - "jetzt auf’s Gas" und "jetzt weg vom Gas". Früher haben die Fahrer auch sehr viel freier gesprochen. Heute wird ihnen von den Marketing- und PR-Leuten eine Sprachregelung vorgegeben, es ist fast schon wie bei Politikern.

Abschließend eine Frage zum gesellschaftlichen Umfeld des Automobils: Der Führerschein ist für junge Menschen nicht mehr das Maß aller Dinge, digitale Kommunikation steht im Vordergrund. Eher Apple statt Alfa. Wie sehen Sie die Entwicklung?

Die uneingeschränkt positive Einstellung zum Auto hat sich seit etwa 1955 von Jahr zu Jahr gesteigert - und ist dann mit dem Ölschock von 1973 gekippt, als Benzin knapp wurde und die ersten grünen Ideen zum Tragen gekommen sind. Auch beim Automobilsport hat sich das geändert. Und die digitale Revolution hat ja nicht nur die Formel 1, sondern unsere ganze Gesellschaft entscheidend verändert - und wird sie noch weiter verändern.