Zum Hauptinhalt springen

Rentner sollen Budget retten

Von Alexander Dworzak und Hermann Sileitsch

Politik

Spaniens Regierungschef Rajoy bricht Wahlversprechen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Madrid/Paris/Athen. Mariano Rajoy Zigarre rauchend auf der Sixth Avenue - dieses Bild ließ in Spanien am Donnerstag die Emotionen hochgehen. Denn während das Foto in New York aufgenommen wurde, lieferten sich in Madrid Zehntausende Demonstranten, die gegen die Sparpolitik protestierten, wilde Straßenschlachten mit der Polizei.

Die Beliebtheit des konservativen Premiers hatte somit einen neuen Tiefpunkt erreicht - noch vor der Präsentation des Sparpakets am Donnerstagnachmittag, bei der Rajoy einmal mehr seine Sprecherin Soraya Sáenz de Santamaría vorschickte. Er ersparte sich das öffentliche Eingeständnis einer Blamage. Entgegen allen Wahlversprechen und Beteuerungen trifft das Sparpaket doch die Pensionisten. Drei Milliarden Euro soll ein Griff in die Pensionsrücklagen holen. Der Umfaller bei den Renten ist exemplarisch für den drastischen Sparkurs, den der Premier einschlagen muss.

Um 40 Milliarden Euro muss Spaniens Budget 2013 entlastet werden, nachdem 2012 bereits Kürzungen über 27,3 Milliarden Euro eingeplant waren. Denn das Defizit explodiert - alleine von Jänner bis August wurde ein Fehlbetrag von 50 Milliarden Euro angehäuft, mehr als für das gesamte Jahr geplant war. Die Gegenmaßnahmen beinhalten Steuern auf die Emission von Treibhausgasen sowie auf Aktientransaktionen ebenso wie die Streichung von Steuervergünstigungen und ein Einfrieren der Gehälter von öffentlich Bediensteten. Die Einführung einer von der EU vorgeschlagenen Steueraufsichtsbehörde gilt ebenfalls als fix.

"Wir wissen, was wir tun müssen, hatte Rajoy stets selbstbewusst-trotzig verlautbart. Die Botschaft kam jedoch weder bei den Bürgern noch bei den Finanzmärkten an. Am Donnerstag kletterten die Zinsen für spanische Zehn-Jahres-Anleihen erneut über sechs Prozent. Das ist der höchste Stand, seit die Europäische Zentralbank (EZB) angekündigt hat, notfalls Anleihen kriselnder Eurostaaten zu kaufen.

60 Milliarden für die Banken

Sogar Parlamentarier des Regierungslagers sprechen den Reformbemühungen die Substanz ab und fragen sich, woher der Staat angesichts der Rekordarbeitslosigkeit von 25 Prozent Einnahmen lukrieren soll: "Papier ist geduldig. Es wird hart werden, das Budget glaubwürdig zu machen", gestand ein Abgeordneter.

Die iberische Wirtschaft steckt in der Rezession fest -und die angepeilte Neuverschuldung von Staat und Kommunen von 6,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts rückt damit in weite Ferne.

Einen winzigen Hoffnungsschimmer lieferte am Donnerstag der marode Bankensektor. Zumindest die drei größten Kreditinstitute Santander, BBVA und La Caixa haben laut der Zeitung "El País" den Stresstest bestanden und benötigten auch unter ungünstigsten Bedingungen keine staatliche Unterstützung. Die Gesamtsumme der Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm für Spaniens Banken dürfte somit bei rund 60 Milliarden Euro bleiben - die exakte Summe soll heute, Freitag, veröffentlicht werden, wenn das Gutachten der Prüffirma Oliver Wyman vorliegt. Das Vertrauen der Kunden in ihre Banken bleibt jedoch gering; sie zogen wie in den Monaten zuvor Geld ab.

Eine Geldspritze benötigen nicht nur die Banken, sondern auch die Regionen. Kastilien-La Mancha hat von der Zentralregierung 800 Millionen Euro Finanzhilfe beantragt. Katalonien, Valencia, Murcia und Andalusien hatten zuvor bereits um Hilfe aus dem 18 Milliarden Euro schweren Topf angesucht - dessen Mittel zu drei Viertel aufgebraucht sind. Auch in den Ministerien des Zentralstaates müssen die Gürtel enger geschnallt werden: Dem Landwirtschaftsressort steht künftig fast ein Drittel weniger zur Verfügung, im Industrieministerium sind es gar 40 Prozent.

Hollande vor Bewährung

Es ist ein schwacher Trost, aber Spanien ist nicht allein. In Frankreich verlangt Staatschef François Hollande von seinen Landsleuten "die größte Anstrengung seit 30 Jahren". Heute, Freitag, werden diese genau wissen, was sie erwartet: Die sozialistische Regierung legt ihren Haushaltsentwurf für 2013 vor. Eine Gratwanderung für Hollande: Er muss das Ruder scharf herumreißen, damit das Budgetziel noch erreicht wird. Und das wird schwierig genug: Die Haushaltslücke soll von heuer 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 3,0 Prozent sinken. Dafür müssen mindestens 30 Milliarden Euro aufgetrieben werden. Sollte das Wachstum 2013 schwächer ausfallen als die ohnehin anämischen 0,8 Prozent, die bisher prophezeit werden, wären freilich all diese Pläne obsolet. Und die Annahme gilt vielen als zu optimistisch. "Das ist nicht realistisch", sagt sogar Harvard-Ökonom Philippe Aghion, der Hollande im Wahlkampf beraten hat. Für dessen politische Zukunft könnte das Budget entscheidend sein: Seine Umfragewerte sind fünf Monate nach dem Urnengang stark gesunken. Drastische Einsparungen würden ihm als Verrat seiner Wahlversprechen ausgelegt - immerhin ist er als dezidierter Gegner der Sparpolitik in Europa aufgetreten. Am Sonntag ist in Paris eine Großdemonstration gegen Fiskalpakt und Sparmaßnahmen geplant.

Viel Spielraum hat Hollande nicht: Frankreich hat wie Österreich sein Triple-A-Rating eingebüßt und steht unter argwöhnischer Beobachtung der Märkte. "Wenn wir uns nicht an die drei Prozent (Defizit) halten, dann sagen die Märkte: ‚Die sind nicht glaubwürdig‘", mahnte Wirtschaftsminister Pierre Moscovici. "Dann steigen unsere Zinssätze wie die für Spanien."

Wie durchgesickert ist, will Hollande das Budget retten, indem er 20 Milliarden Euro neue Steuern einhebt - gleichmäßig auf Bürger und Unternehmen verteilt. Symbolträchtigste Maßnahme ist eine Reichensteuer von 75 Prozent auf Einkommen über einer Million Euro - was aber nur 200 Millionen Euro bringt. Weitere 10 Milliarden Euro will der Staat bei seinen Ausgaben einsparen - wo ist bisher offen.

Zumal auf den Staat Mehrausgaben zukommen: Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt - seit 16 Monaten in Folge. Im April hat die Zahl der Franzosen ohne Job die Symbolmarke von drei Millionen überschritten - so hoch lag sie zuletzt vor 13 Jahren. Mit jedem weiteren Arbeitslosen steigt der Druck auf Hollande, mit staatlichen Mitteln die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen - vor allem aus seiner eigenen Partei.

Athen grundsätzlich einig

In Athen erklärte Finanzminister Giannis Stournaras am Donnerstag, die Regierungskoalition sei sich "in den Hauptpunkten" einig über das Sparpaket in Höhe von mehr als 11,5 Milliarden Euro. Ähnliche Aussagen hatte es aber in den vergangenen Wochen mehrfach gegeben. Konkrete Angaben wollte Stournaras nicht machen - es müsse noch mit der Troika der Geldgeber (EU, Internationaler Währungsfonds und EZB) verhandelt werden. Fotis Kouvelis von den Linksdemokraten warnte, dass über "einige Punkte" noch nicht entschieden sei. Das Sparpaket ist die Voraussetzung für die Auszahlung einer Hilfstranche von 31,5 Milliarden Euro. Bereits am Donnerstag stellte Athen praktisch den gesamten Staatsanteil an der Wettgesellschaft OPAP zum Verkauf.

Das Sparpaket soll bis zum Treffen der Euro-Finanzminister am 8. Oktober ausverhandelt sein - zu diesem Zeitpunkt sollte auch der dauerhafte Eurorettungsfonds ESM startklar sein: Die Euroländer haben am Donnerstag die vom deutschen Bundesverfassungsgericht geforderte ergänzende Erklärung zum ESM-Vertrag angenommen. Die Richter in Karlsruhe hatten verlangt, dass die deutsche Haftung auf vorerst 190 Milliarden Euro begrenzt bleiben muss.