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Republik mit Widersprüchen

Von Hubert Nowak

Gastkommentare
Hubert Nowak ist Radio- und TV-Journalist. Er war "ZiB"-Moderator sowie Leiter des ORF-Landesstudios Salzburg und der Redaktion von ORF 3sat. Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Der schwierige Umgang mit der eigenen Vergangenheit in Österreich.


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Sich mit 100 Jahren Republik Österreich zu beschäftigen heißt, sich mit diversen Brüchen und Widersprüchen auseinanderzusetzen. Stabilität und Ordnung scheinen heute selbstverständlich zu sein. Aber das Land ist hineingestolpert in die Republik, nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Man hatte den Kaiser verjagt, aber keine Erfahrung mit Demokratie. Die von Franz Joseph nur widerwillig erduldeten Parteien waren über die Maßen mit Selbstfindung beschäftigt. Fast alle, aber besonders die Großdeutschen und Sozialdemokraten, suchten den Anschluss an Deutschland.

Heute erinnert sich die SPÖ nur widerwillig an diese Geisteshaltung ihrer Väter. Und die ÖVP plagt sich, die Ära Engelbert Dollfuss als Diktatur einzuordnen. Erst der junge Kanzler Sebastian Kurz konnte das Dollfuss-Bild im ÖVP-Klub elegant ins Museum abschieben.

Die dank einer Stückwerksverfassung später realpolitisch übermächtig gewordenen Länder strebten ursprünglich massiv in Richtung Deutschland und verstärkten den Zweifel an der Lebensfähigkeit, heute geben sie sich gern als Gründer der Republik. Diese Patenrolle hatten sie erst 1945. Da war der nächste große Bruch erfolgt, nach 1938 und dem Zweiten Weltkrieg. Eine Art Läuterung. Widersprüche gab es weiterhin, die Opfer/Täter-Debatte füllt schon halbe Bibliotheken. Der jüngste Streit um die Neutralität ist noch gar nicht so lange her. 1955 hatte sich die SPÖ gegen sie gesträubt und erhob sie später zur Ikone. Die ÖVP wollte sie unter Kanzler Wolfgang Schüssel entsorgen und ein Ende der Allgemeinen Wehrpflicht, die man sich in der Ersten Republik vergeblich gewünscht hatte. Als die SPÖ plötzlich auch ein Berufsheer wollte, votierte die Mehrheit wieder für die Wehrpflicht.

Das Verhältnis der Parteien zueinander ist überhaupt ein weites Feld der Widersprüche. Die SPÖ wettert gegen die FPÖ in der Regierung und war doch 1983 die Erste, die mit ihr koalierte. Die ÖVP entdeckt die Liebe zu Reformen und ist doch schon Jahrzehnte an der Macht.

Österreich hat mit Widersprüchen zu leben gelernt, mit bunt schillernden Stimmungen. 1918 wälzten sich Menschenmassen vor dem Parlament zur Ausrufung der Republik, 1989 säumten nicht weniger die Straßen, als Zita, die letzte Kaiserin, zu Grabe getragen wurde. Man schämte sich für Zigtausende, die sich 1938 auf dem Heldenplatz zum Jubel für Adolf Hitler versammelt hatten, und erschrak über die Leichtigkeit, mit der die Emotion für Karl Schranz nach seinem Olympia-Ausschluss die Menge auf den Ballhausplatz trieb.

Österreichs Seele ist ein weites Feld. Aber keine Ausnahme. In keinem Land der Welt verläuft die Geschichte immer glatt, ohne Sprünge und unvorhergesehene Wendungen. Menschen ändern sich, Machtansprüche auch. Wir lesen von Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Xi Jinping. Italien sucht wieder einmal eine stabile Regierung, der Balkan noch immer seine Struktur und die EU überhaupt ihre Zukunft. Überall gibt es Interessenkonflikte und Widersprüche. Das mag Ausdruck einer Normalität sein. Aber die Erkenntnis sollte auch mahnen, wie leicht man ungewollt in Brüche stolpern kann.