Nach den Zwischenwahlen könnte es in den USA zu einer politischen Machtverschiebung kommen.
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Washington. "Lahme Ente" – so nennen die Amerikaner ihren Präsidenten, wenn die gegnerische Partei in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit hält. Schon bald könnte Barack Obama die zweifelhafte Ehre haben, mit diesem Titel bedacht zu werden. Denn es sieht nicht gut aus für seine Demokratische Partei, wenn am 4. November die sogenannten Midterm Elections abgehalten werden, die Kongresswahlen, die nach der Hälfte der Amtszeit des Präsidenten stattfinden.
Dabei werden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses neu gewählt und rund ein Drittel der Mitglieder des 100-köpfigen Senats; diesmal sind es 36. Daneben werden noch zahlreiche Gouverneure und Bürgermeister neu gekürt. Das Repräsentantenhaus haben Obamas Demokraten schon vor vier Jahren verloren. Seither machen die Republikaner dem Präsidenten das Leben so schwer, wie sie nur können. Denn Gesetze können vom US-Kongress erst dann approbiert werden, wenn beide Kammern zustimmen. Obamas politische Agenda konnte somit vom Repräsentantenhaus blockiert werden.
Das führte zu jahrelangem Streit über das Budget und die Anhebung der Schuldengrenze, was bis hin zur Stilllegung der Regierung wegen Zahlungsunfähigkeit reichte. Dass das Repräsentantenhaus in republikanischer Hand bleibt, gilt laut Meinungsforschern als gesichert. Auch war es in der Geschichte in der Mehrzahl der Fälle so, dass die Gegenpartei des Präsidenten bei den Midterms gewonnen hat. In den letzten hundert Jahren ist es einer Präsidentenpartei nur drei Mal gelungen, Sitze zu gewinnen. Der höchste Gewinn waren neun Sitze im Jahr 2002.
Ohne die zweite Kammer des Kongresses war es für Obama zwar schwer, doch – um beim Bild der Ente zu bleiben – hinkte er lediglich. Verlieren die Demokraten jedoch auch noch den Senat, so folgt erst die veritable Lähmung. Dann würden nämlich auf einmal die Republikaner die politische Agenda vorgeben und Obama würde seinen Schutzschild verlieren. So wie die Republikaner im Repräsentantenhaus nämlich Gesetzesvorlagen aus dem Senat zu Fall bringen konnten, konnte umgekehrt der Senat Projekte des Repräsentantenhauses ablehnen.
Mit der Mehrheit in beiden Kammern könnten die Republikaner nach Lust und Laune Gesetze verabschieden, die der Linie des Präsidenten entgegenstehen. Dem bliebe als letztes Mittel nur noch sein Vetorecht. Doch auch das hat Grenzen. Denn der Senat hat das Recht, vom Präsidenten nominierte hohe Beamte, wie Botschafter oder Bundesrichter – abzulehnen. Das zwingt zu Kompromissen und Kuhhandel. Im Gespräch ist beispielsweise der Ausbau der aus Umweltschutzgründen umstrittenen Keystone Ölsand-Pipeline, den Obama bisher blockiert hat.
Nur noch 40 Prozent stehen hinter Obama
Derzeit halten die Demokraten eine Mehrheit von fünf Sitzen im Senat – 53 demokratische Senatoren und zwei mit ihnen im Verband stimmende unabhängige stehen 45 Republikanern gegenüber. Um also einen Wechsel herbeizuführen, müssen die Republikaner sechs Sitze dazugewinnen. Die Ausgangslage dafür ist denkbar gut. Von den 36 zur Wahl stehenden Senatoren gelten 15 bereits als entschieden und gesichert. Von den 21 umkämpften Sitzen haben 17 die Demokraten zu verteidigen und lediglich 4 die Republikaner. Bei vier davon – South Dakota, Montana, Louisiana und West Virginia – gilt ein republikanischer Sieg als so gut wie sicher.
Die schlechte Ausgangslage bekräftigt auch ein Blick zurück: Senatoren werden nämlich für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt (im Gegensatz zu den Abgeordneten, die alle zwei Jahre neu gewählt werden). Das heißt, dass am Dienstag jene Senatoren zur Wahl stehen, die 2008 im Windschatten der siegreichen Lichtgestalt Barack Obama einen demokratischen Erdrutschsieg feiern durften. Doch nun ist der Lack ab. Lediglich um die 40 Prozent der Bevölkerung halten Umfragen zufolge dem Präsidenten noch die Stange und markieren damit einen Tiefpunkt in seiner sechsjährigen Amtszeit. Schlecht ist da für Obama, dass die Midterms traditionellerweise als Referendum über die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem Präsidenten gelten.
Demokratische Kandidaten auf Distanz zu Obama
Obamas Unbeliebtheit spiegelt sich auch in den Wahlkämpfen der Demokraten wider: Wenn sie um Abgeordnetenmandate, Senatssitze oder Gouverneursposten kämpfen, versuchen sie sich den Präsidenten möglichst auf Distanz zu halten. Als skurriler Höhepunkt drückte sich die demokratische Senatskandidatin in Kentucky sogar wiederholt um die Antwort auf die Frage, ob sie Obama gewählt hat. Wie es ausgeht, wenn man Obama zur öffentlichen Unterstützung ruft, konnte Anthony Brown sehen. Der Vizegouverneur von Maryland, der sich um den Chefposten in seinem Bundesstaat bewirbt, hatte den Präsidenten zu einem Wahlkampfauftritt eingeladen. Doch während Obama das Publikum anfeuerte, verließ ein ständiger Menschenstrom den Veranstaltungsort.
Geldgeber wechseln die Fronten
Gute Chancen also für die Republikaner. Dass sie im Kongress tatsächlich das Double schaffen, darauf setzen betuchte Menschen inzwischen ihr Geld. Das "Wall Street Journal" berichtet, dass in sieben Schlüsselstaaten – Alaska, Arkansas, Colorado, Iowa, Louisiana, Kentucky und North Carolina – von Unternehmen gegründete Lobbygruppen zur Finanzierung von Kandidaten die Fronten gewechselt haben. Flossen von Jänner bis Juni 61 Prozent der Spenden an Demokraten, so gingen danach 58 Prozent des Geldes an Republikaner.
So richtig spannend wird es, sollten die Republikaner tatsächlich beide Kammern des Kongresses dominieren. Denn jetzt schon ist der Kongress gemessen an den verabschiedeten Gesetzen der unproduktivste in der neueren Geschichte der USA. Das hat mit der zunehmenden Bunkermentalität der Parteien zu tun. Beide Seiten schalten auf stur und gehen kaum mehr auf das andere Lager zu. Die Arbeit ist hauptsächlich davon gekennzeichnet, die Vorstöße des jeweils anderen zu blockieren. Wenig überraschend ist eines der größten Versprechen der Republikaner, die Gesundheitsreform von Barack Obama rückgängig zu machen, sollten sie es schaffen, beide Kammern des Kongresses dominieren.
Da bisher der Schwerpunkt der Republikaner darauf lag, gegen Projekte der Demokraten zu opponieren, wird ebenfalls spannend, wie sie in den kommenden zwei Jahren ihre Politik gestalten würden. Denn auch wenn Obama ihre Gesetzesvorschläge per Veto zu Fall bringen kann, so werden diese doch schon richtungsweisend sein für die große Wahl in zwei Jahren, wenn die USA einen neuen Präsidenten bekommen.
Nach wie vor ist die Republikanische Partei von Spannungen mit der Protestbewegung Tea Party gekennzeichnet. Wirtschaftsorientierte Vertreter des Politestablishments geraten immer wieder in Konflikt mit eher emotional gezeichneten Radikalen. Insgesamt ist die Partei dank Tea Party mehr nach rechts gerückt – was das Konfrontationspotential wesentlich verringert hat. Doch mit Blick auf 2016 muss eine neue Linie gefunden werden, die bei der gesamten amerikanischen Bevölkerung mehrheitsfähig ist und nicht nur bei ein paar Konservativen.
Trotz dieser Umstände wird von vielen Amerikanern die kommende Wahl als langweilig empfunden. Denn in der starren Opposition hat sich nichts Neues gefunden. Es gibt kein neues dominierendes Thema mehr: Die Wirtschaft, die sich erholt – und irgendwie doch nicht – ist ein alter Heuler, ebenso die Argumente um herzlos kapitalistische sowie frauenhassende Republikaner auf der einen Seite und sozialistische, enteignende Demokraten auf der anderen. Dies könnte in einem neuen Tiefstand der an sich schon traditionell niedrigen Wahlbeteiligung resultieren. Denn bei den Midterms gehen in der Regel um die 40 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen. Das letzte Mal, 2010, waren es 37,8 Prozent.
In den USA sind die Wähler am 4. November neben den Kongress- und Gouverneurswahlen auch aufgerufen, über insgesamt mehr als 140 Referenden und Initiativen in verschiedenen Bundesstaaten zu entscheiden.
Marihuana: Alaska, Florida und die Hauptstadt Washington D.C. stimmen über eine Legalisierung von Cannabis-Produkten – auch Marihuana oder Haschisch genannt – ab. In Florida wird über die medizinische Verwendung abgestimmt und im Bundesstaat Washington, wo Kiffen bereits erlaubt ist, über eine Besteuerung. Zudem stehen in Staaten wie Maine, Massachusetts, Michigan oder Kalifornien eine Reihe von regionalen Initiativen zum Thema Cannabis auf den Stimmzetteln. In Colorado, dem ersten US-Staat der das Kiffen legalisierte, wollen mehrere Initiativen dies rückgängig machen.
Limonaden: In den kalifornischen Städten San Francisco und Berkeley wird über eine Besteuerung von zuckerhaltigen Getränken abgestimmt. Sollte "Proposition E" die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhalten, würden pro 29,9 Milliliter 2 US-Cent an Steuern fällig. Eine in den USA handelsübliche 350-Milliliter-Dose würde dann umgerechnet 19 Eurocent mehr kosten. Mit den Einnahmen soll Fettleibigkeit bekämpft werden. Berkeley will 12 US-Cent Umsatzsteuer pro Dose.
Fracking: Sechs regionale Referenden – in Ohio, Texas, Kalifornien – wollen Gas-Fracking verbieten. Umweltschützer sind besorgt über dessen Auswirkungen.
Gen-Pflanzen: In Humboldt County in Kalifornien und in Maui auf Hawaii wird über ein Verbot des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen entschieden.
Glücksspiel: In Massachusetts sollen die seit 2011 erlaubten Casinos wieder verboten werden.
Abtreibung: Eine Initiative in Colorado würde Ungeborene unter den Definitionen "Person" und "Kind" im Strafrecht mit einschließen.