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Republikanisches Chaos um 700 Milliarden

Von Georg Friesenbichler

Analysen

John McCain hatte sich die Sache anders vorgestellt. Der Wahlkampf solle ruhen, bis man sich über die Lösung der Finanzkrise geeinigt habe, hatte er gemeint. An der Lösung wollte er selber teilhaben. So, lautete wohl die Überlegung, könne sich als erfahrenen Krisenmanager, der die Interessen seines Landes vor die Parteipolitik stellt, präsentieren.


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Stattdessen landete er mitten in einem Richtungsstreit seiner eigenen Republikanischen Partei. Bei der Krisensitzung im Weißen Haus, an der auch die beiden Präsidentschaftskandidaten teilnahmen, zeigte der konservative Flügel der "Grand Old Party", dass man, ganz dem neoliberalen Gedankengut verpflichtet, keine Staatsinterventionen unterstützt. Kurz zuvor hatte es noch Meldungen gegeben, im Kongress herrsche prinzipielle Einigkeit über das von Präsident George W. Bush vorgeschlagene 700-Milliarden-Dollar-Paket, mit dem die Finanzkrise bewältigt werden soll.

Nun präsentierte Republikaner-Sprecher John A. Boehner völlig überraschend einen Alternativplan, der die Steuerzahler weniger belasten soll - eine Idee freilich, die dem Vernehmen nach schon Finanzminister Henry Paulson und Zentralbankchef Ben Bernanke erwogen und sogleich als ungenügend verworfen hatten.

McCain, der die Unterstützung der Konservativen benötigt, lavierte. Im Weißen Haus soll er die meiste Zeit eher als Zuhörer denn als Akteur am Tisch gesessen sein. Die erhoffte Imageverbesserung wurde damit zunächst nicht erzielt, so notwendig sie wäre. Denn die Momentaufnahme der Umfragen zeigt deutlich, dass die Wähler dem demokratischen Konkurrenten Barack Obama in Sachen wirtschaftspolitischer Krisenbewältigung weit mehr Vertrauen entgegenbringen als McCain. Im demokratischen Lager verweist man genüsslich auf die langjährige Unterstützerrolle McCains bei der Deregulierung der Finanzwirtschaft. Dass Obama - laut einigen Wortmeldungen aus der eigenen Partei - fast zu zurückhaltend und wenig emotional auf die Nöte der kleinen Leute reagiert, scheint ihm bisher nicht geschadet zu haben.

Wie verhängnisvoll sich das Fehlen jeder staatlichen Kontrolle auswirken kann, musste jetzt auch der amtierende US-Präsident, der stets das freie Spiel der Marktkräfte proklamiert - freilich längst nicht immer umgesetzt - hat, zur Kenntnis nehmen. In der jetzigen Situation sehen auch die meisten wirtschaftsliberalen Kommentatoren keine Alternative dazu, dass der Staat als Retter herhalten muss. Der Ruf nach staatlichen Regelungen ertönt auch bereits diesseits des Atlantik. In Frankreich, das so nebenbei gleich das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes bis 2012 aufgab, forderte Präsident Nicolas Sarkozy eine komplette Neuordnung des Weltfinanzsystems. "Der Markt, der immer recht hat, das ist vorbei!", meinte er. Dieser Gedanke drängt sich nach dem Schock, in den die Jahre der ungebremsten Wirtschaftsfreiheit mündeten, wohl auch immer mehr Amerikanern auf - und könnte damit die Wahl entscheiden.