)
Bei den Parteien vermisst der Bundespräsident Grundsätzliches. Er hat leider recht damit.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Mahnende Worte zählen zum Kerngeschäft eines Bundespräsidenten. In der Regel fallen sie so vage aus, dass sich keiner direkt angesprochen fühlen muss. Was und wer gemeint ist, entschlüsseln dann meist berufene Hofburgologen.
Am Freitag hat sich Alexander Van der Bellen an die dauererregte Republik gewandt, zuvor war wiederholt ein klärendes Wort des Bundespräsidenten gefordert worden. Wie fast immer, wenn andere einem die Latte absichtlich hoch legen, tut man gut daran, die so geschürten Erwartungen zu enttäuschen.
Ob ein Regierungsmitglied, und sei es der Kanzler, im Visier der Justiz diesseits der gesetzlichen Grenzen amtsfähig ist, ist eine politische Frage, die zunächst jede Partei für sich, sodann die Koalitionsparteien untereinander und schließlich das Parlament mit Mehrheit zu entscheiden hat. Ein Staatsoberhaupt, das hier Position bezieht, verstrickt sich in die Untiefen der Parteipolitik. Die Aufgabe, ein auseinanderdriftendes Land zusammenzuhalten, ist so schon schwer genug.
Umso bemerkenswert ist, wie sehr sich Van der Bellen genötigt sieht, "besonders die Politikerinnen und Politiker" an Selbstverständlichkeiten eines ordentlichen Umgangs zu erinnern: etwa daran, dass Gesetze wie die Unschuldsvermutung für alle gleich gelten, oder an die Aufgaben von Parlament, Regierung, Justiz und Medien.
Und dann ist da die Sache mit Respekt und Anstand. Früher hieß das "gute Kinderstube", heute werden die Erziehungsberechtigten eher aus der Pflicht genommen. Den Bundespräsidenten stört der öffentlich zur Schau gestellte Mangel an gegenseitigem Respekt, Anstand und - so darf wohl hinzugefügt werden - Höflichkeit. Dabei nimmt er ausdrücklich alle Parteien - den Finanzminister dafür sogar gleich zweimal - in die Pflicht.
Normale Menschen werden sich fragen, warum ein Staatsoberhaupt solche Selbstverständlichkeiten überhaupt extra betonen muss. Die Antwort darauf sollten nun die Angesprochenen geben.
Auch die niederschmetternde Beteiligung an der ÖH-Wahl kann man unter dem Aspekt des Respekts bewerten. Zwar hat an den Unis eine gewisse Respektlosigkeit quasi institutionalisierte Tradition, dennoch bleibt: Ein Parlament, das von 84 Prozent der Vertretenen mit Missachtung bedacht wird, hat mehr als nur ein Problem. Dabei nur auf Corona zu verweisen und sonst schnellstens zur üblichen Routine überzugehen, wäre eine Respektlosigkeit gegenüber den ÖH-Mitgliedern. Auch eine Absage verdient es, wenigstens kurzzeitig ernst genommen zu werden.
Mangel an Respekt, wohin man schaut in dieser Republik.