Die Ukraine ringt seit Wochen um einen neuen Premier. Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman scheint das Rennen zu machen. Die Chancen, dass das Land mit ihm den Weg aus der Krise findet, sind gering: Hrojsman gilt als Reform-Bremser.
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Kiew. Es ist zwar keine Irrfahrt, die schon zehn Jahre währt. Aber immerhin schon seit sechs Wochen wird in Kiew um einen neuen Premier gerungen. Homerische Ausmaße für ein Land im Krieg und in der Wirtschaftskrise - und somit lange genug für Journalisten, sie in Anlehnung an Homers "Ilias" und "Odyssee" zur "Premieriada" (nach dem slawischen "Iliada") zu adeln. Diese Woche soll endlich ein Ausweg aus der Krise gefunden werden.
Zwischen der Partei "Block Petro Poroschenko" (BPP), der "Volksfront" des amtierenden Premiers Arseni Jazenjuk und der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko wird über eine neue Koalition verhandelt. Doch das Bündnis steht schon jetzt unter keinem guten Stern: Timoschenko lässt keine Gelegenheit aus, um Poroschenko oder Jazenjuk öffentlich anzugreifen. "Wir glauben der Regierung kein Wort", polterte sie am Dienstag vor Journalisten. Sie fordert, zuvor noch 20 von ihr geforderte Gesetze durch das Parlament zu bringen.
Bei den Verhandlungspartnern kommt das freilich nicht gut an. Das sei "Bestechung", empörte sich ein namentlich nicht genannter Abgeordneter der Volksfront. Daher wirbt der Poroschenko-Block auch um parteifreie Abgeordnete, um den Druck auf Timoschenko zu erhöhen - um ohne ihre Partei auf die nötige Mehrheit von 226 Stimmen im Parlament zu kommen. An eine stabile Regierung wird auch die Auszahlung der nächsten Tranche des IWF über 1,7 Milliarden US-Dollar geknüpft. Der Hintergrund: Vor sechs Wochen scheiterte ein Misstrauensantrag gegen Jazenjuk. Die Partei "Selbsthilfe", die den Antrag eingebracht hatte, sowie Timoschenkos Partei scherten aus der Fraktion aus. Seither ringen die zwei verbliebenen Fraktionen in der Koalition - BPP und Jazenjuks "Volksfront" - um einen Ausweg aus der Krise. Zuletzt brachte sich Timoschenko als Juniorpartner wieder ins Spiel.
Obwohl das Misstrauensvotum gegen ihn scheiterte, gilt Jazenjuk als angezählt - die Zustimmung zu seiner Politik ist laut Umfragen unter ein Prozent gefallen. Während der BPP mit Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman einen Kandidaten aus seinen Reihen installieren wollen, machte sich die Zivilgesellschaft sowie einzelne Abgeordnete für Natalie Jaresko, die in den USA geborene Finanzministerin, stark.
Politischer Zögling des Präsidenten
Die Würfel scheinen inzwischen gefallen zu sein: BPP und Volksfront sollen sich nach lähmenden Verhandlungen auf Hrojsman geeinigt zu haben. Der 38-Jährige stammt wie Poroscheko aus der Stadt Winnyzja, drei Autostunden südwestlich von Kiew, die er zuletzt acht Jahre lang als Bürgermeister leitete.
Hrojsman gilt als Zögling des Präsidenten und wurde schon vor den Parlamentswahlen im Herbst 2014 als nächster Premier gehandelt. Mit einem überraschenden Wahlerfolg schnappte ihm jedoch Jazenjuk in letzter Minute den sicher geglaubten Premiersposten weg. Hrojsman, der zuletzt mit homophoben Äußerungen ("Bei uns wird es niemals die gleichgeschlechtliche Ehe geben") aufgefallen war und auch nur schlecht Englisch spricht, ist kein Darling der internationalen Gemeinschaft. Die Nominierung Hrojsmans wird von vielen Beobachtern als ein Zeichen der Restauration und nicht der Reformen gewertet.
Was macht die Verhandlungen so schwierig? Wichtige politische Ämter werden immer noch nach einer komplexen Arithmetik vergeben - so wird Jazenjuk von mächtigen Hintermännern wie Rinat Achmetow, dem reichsten Ukrainer, gestützt. "Die Oligarchen haben Angst davor, dass es Poroschenko gelingt, einen Premier einzusetzen, der nur von ihm abhängt", so der ukrainische Politologe Wolodymyr Horbatsch. "Die Oligarchen haben zwar keine Mehrheit mehr im Parlament. Aber diese Minderheit reicht ihnen derzeit trotzdem noch aus, um Entscheidungen zu blockieren." Wie zuletzt beim Misstrauensvotum, das am 16. Februar gegen Jazenjuk scheiterte.
Die wenigen Reformer werden im neuen Kabinett fehlen
Zugleich hatten westliche Partner wie der IWF zuletzt gefordert, Neuwahlen und Instabilität zu vermeiden. Neuwahlen wollen auch weder Poroschenko noch Jazenjuk: Jazenjuks Partei würde möglicherweise nicht einmal mehr den Einzug in das Parlament schaffen, der Poroschenko-Block könnte auf den vierten Platz rutschen. Zugleich spüren die Parteien den Atem von Michail Saakaschwili im Nacken: Der ehemalige georgische Präsident ist seit einem Jahr Gouverneur in Odessa, tourt zuletzt aber als Anti-Korruptionskämpfer durch die Ukraine. Es gibt Gerüchte, Saakaschwili könnte bei Neuwahlen mit einer eigenen Partei antreten. In Umfragen ist der charismatische Georgier derzeit der beliebteste Politiker der Ukraine.
Dass Poroschenko mit Hrojsman seine Macht nachhaltig festigen könne, wird indes angezweifelt. Der Reformstau würde somit nicht mehr Jazenjuk, sondern Poroschenko angelastet werden, schreibt der Publizist Witali Portnikow. Aber eines gilt als sicher: Die wenigen erfolgreichen Reformer im bisherigen Kabinett - wie Jaresko oder der Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius, der mit seinem Rücktritt vor zwei Monaten die Regierungskrise auslöste - werden im neuen Kabinett wohl fehlen. "Alle Informationen über eine neue Hrojsman-Regierung würde eine komplette Konzentration der Macht des Präsidenten bedeuten", so Anders Aslund vom Atlantic Council. "Das ist nicht gut - für niemanden."