Der Ruf nach einer Abkehr von fossilen Energieträgern verhallt bei den Öl- und Gasförderländern.
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"Was wollen wir? Klimagerechtigkeit! Wann wollen wir das? Jetzt!" Es ist Freitag in Sharm-El-Sheikh, und an diesem Tag ziehen unter dem Banner der Umweltaktivisten von Fridays for Future dutzende Demonstranten durchs Gelände der Weltklimakonferenz, um noch einmal lautstark auf die Forderungen der Klimaschützer aufmerksam zu machen.
Klimaaktivist Isaac Ssentumbwe aus Uganda stellt Sumak Selena Siren Gualinga vor, eine indigene ecuadorianische Klimaschutz- und Menschenrechtsaktivistin. Diese spricht über die Zerstörung des Amazonas, Patience Nabukalu aus Uganda steht links hinter ihr und hält ein Schild in der Hand, auf das sie mit roter Schrift auf schwarzem Grund gemalt hat: "Pay up for Loss and Damage" - "Zahlt für Verluste und Schäden".
Und tatsächlich könnte die COP27 in Sharm-El-Sheikh in Ägypten dafür in Erinnerung bleiben, dass dort die schon einige Zeit schwelende Diskussion über Klimaschadenersatz Eingang in den offiziellen Klimadiskurs gefunden hat. Die ganze Woche wurde darüber diskutiert, ob und wie die Schwellen- und Entwicklungsländer, für erlittene Klimaschäden Kompensationen erhalten können. Über ihre Plattform der G77 haben sie lautstark die Einrichtung eines Klimafonds gefordert, die Industrienationen haben sich eher ablehnend geäußert. Die Veranstaltung, die am Freitag hätte zu Ende gehen sollen, ging in die Verlängerung.
Noch am Donnerstag hat sich Umweltministerin Leonore Gewessler enttäuscht über die bisherigen Fortschritte gezeigt, aber wie immer bei großen Konferenzen kam in letzter Sekunde noch einmal Bewegung in den Verhandlungsreigen. "Grundvoraussetzung ist, dass ein solcher Fonds die vulnerabelsten Länder im Fokus hat. Also jene, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen und am meisten darunter leiden. Auch Länder wie China oder Saudi-Arabien müssen hier einen Beitrag leisten", meint Gewessler und gibt die EU-Linie wieder. "Eine weitere Voraussetzung ist ein erwähnenswerter Fortschritt beim Thema Emissionsminderung. Denn kein Fonds der Welt kann uns aus der Klimakrise herausfinanzieren", betont Gewessler.
"Plötzlich mehr Öl verlangt"
Zu Beginn der Konferenz war der saudische Ölminister, Prinz Abdulaziz bin Salman, in Sharm-El-Sheikh aufgetreten und sagte, die Welt wolle Saudi-Arabien als größten Ölproduzenten "kreuzigen". Doch hob er die Anstrengungen des Königreichs hervor, mehr in erneuerbare Energiequellen zu investieren. Bis 2060, so Abdulaziz, wolle Saudi-Arabien CO2-neutral sein.
Der Pavillon der Länderdelegation des arabischen Königreichs in Sharm-El-Sheikh ist riesig, "Willkommen in der Heimat der Energie" läuft als Slogan über ein Leuchtband. "Wir verstehen uns als Energie-Export-Land, wir arbeiten daran, nicht nur Öl und Gas zu exportieren, sondern Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen - und in Zukunft hoffentlich auch Strom", erklärte der Ölminister zu Beginn der Klimakonferenz der Nachrichtenagentur Reuters. Um dem Ziel, netto weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen, näher zu kommen, will das Königreich bis 2035 an die 44 Millionen Tonnen CO2 unter den Wüstensand pumpen. Umweltschützer stehen dieser Technologie höchst kritisch gegenüber: Sie fordern eine Abkehr von fossilen Brennstoffen, anstatt das Treibhausgas Kohlendioxid quasi unter den Teppich zu kehren.
Vertreter der Öl- und Gasindustrie - darunter des weltweit größten Ölkonzerns Saudi-Aramco - sind der Überzeugung, dass zu geringe Investitionen in Öl- und Gasprojekte zur Energiepreis-Explosion nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine beigetragen haben. Die historisch hohen Preise sind derzeit der wichtigste Faktor der Rekordinflation. Gegen Ende der ersten Woche des Klimagipfels hatte der Außenminister Saudi Arabiens, Adel al-Jubeir, festgestellt, dass der Krieg in der Ukraine die "Verlogenheit der vergangenen Jahre offengelegt hat, über die wir seit einigen Jahren gesprochen haben". Immer habe es geheißen, die Ölproduktion müsse reduziert werden. "Und dann gibt es eine Krise, und plötzlich wird verlangt, dass wir die Ölförderung erhöhen", klagte al-Jubeir.
Verheerende Dürrewellen
Für den Klimawandel fühlt Saudi-Arabien sich nicht mitverantwortlich: "Die Industrienationen haben in den vergangenen 120 Jahren die Schäden verursacht", so al-Jubeir. Saudi-Arabien wolle daher auch nicht bei der Finanzierung eines Klimaschadens-Fonds dabei sein.
Gegenüber des riesigen Pavillons Saudi-Arabiens ist ein kleiner, bescheidener Stand des vom Klimawandel massiv betroffenen Sahara-Staats Niger. Dieser wird immer wieder von verheerenden Dürrewellen heimgesucht; die rasant steigende Überbevölkerung trägt zur Misere bei. Die Mitverursacher der Klimakrise und die Opfer sind in Sharm-El-Sheikh Nachbarn.
Die Öl- und Gasfördernation Vereinigte Arabische Emirate (V.A.E.) haben ebenfalls riesige Flächen im Ausstellungsgelände der COP27 gemietet: Das Land präsentiert sich opulent - immerhin werden die Emirate im November 2023 Gastgeber der COP28 sein. Tausend Delegierte aus den Emiraten sind nach Sharm-El-Sheikh gereist; die V.A.E. stellen damit das größte Länderkontingent bei der diesjährigen Klimakonferenz. Freilich: Die Emirate verdienen ihr Geld mit dem Export von Öl und Gas, die Wirtschaft basiert auf energieintensiven Sektoren wie der Luftfahrt. Umweltschützer sind daher besorgt, dass die Präsidentschaft der nächsten COP28 eine Abkehr von fossilen Energieträgern nicht mit dem nötigen Engagement vorantreiben wird.
Inseln vor dem Untergang
"Für uns ist die radikale Energiewende eine Frage von Leben und Tod", sagt Seve Paeniu, Klimaminister des Pazifik-Inselstaats Tuvalu der "Wiener Zeitung". Wenn die derzeitige Entwicklung ungebremst weitergehe, dann seien einige Inseln bis spätestens 2050 aufgrund des steigenden Meeresspiegels unbewohnbar. "Um das Grundproblem für unser Land in den Griff zu bekommen, muss die Welt sofort auf die Erschließung neuer Kohlefördergebiete und Öl- und Gasförderfelder verzichten. Und wir brauchen den zügigen und konsequenten Ausstieg aus fossilen Energiequellen." Tuvalu gehört auch zu jenen Ländern, die einen Technologietransfer von klimafreundlichen und erneuerbaren Energien fordern.
Wohin sollen jene Bewohner Tuvalus umgesiedelt werden, die ihre unbewohnbar gewordenen Inseln verlassen müssen? Die Menschen würden bleiben wollen, Küstenschutz und Landgewinnung seien die Lösung, sagt Paeniu und hat eine Warnung bereit: "Die Welt soll eines bedenken: Was in Tuvalu passiert, bleibt nicht in Tuvalu. Steigende Meeresspiegel sind ein Faktum, das wird hunderte Millionen Menschen betreffen, die in den Küstengebieten der Erde wohnen. Wenn wir Tuvalu retten, retten wir die Welt."