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+++ Lamy führt WTO bei Ministertreffen in Hongkong. | Konsens in Welthandelsfragen rasch gesucht. | Genf. Nun muss Pascal Lamy zeigen, was er kann. Vor zwei Jahren, als er noch mächtiger EU-Außenhandelskommissar war, bezeichnete er die Welthandelsorganisation (WTO) als eine "mittelalterliche Organisation" und forderte sie zu Reformen auf. Jetzt übernimmt er selber die Führung der in Genf beheimateten WTO - und muss beweisen, ob er diese Reformen durchsetzen kann.
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Viel Zeit bleibt ihm nicht. Bereits Mitte Dezember findet in Hongkong die nächste WTO-Ministerkonferenz statt. Bis dahin müssen die wesentlichen Ecksteine eines Abkommens über die weitere Handelsliberalisierung feststehen. Sonst dürfte die Konferenz ebenso scheitern wie ihre Vorgängerin vor zwei Jahren im mexikanischen Cancún.
Mehr Sekretär als General
Damit hätte die laufende Liberalisierungsrunde kaum noch Chancen, in absehbarer Zeit abgeschlossen zu werden. Denn im Sommer 2007 läuft die Generalvollmacht für solche Handelsabkommen ab, die der Kongress in Washington dem US-Präsidenten gegeben hat. Ohne diese Vollmacht aber sind die USA in Handelsverhandlungen praktisch nicht handlungsfähig.
Lamy hat als WTO-Generalsekretär nur wenig Möglichkeiten, Fortschritte in den Verhandlungen zu erzwingen. In Brüssel konnte er dank der umfangreichen Zuständigkeiten der EU-Kommission in Handelsfragen auf Augenhöhe mit der Weltmacht USA agieren.
In Genf ist er Diener der Mitgliedsstaaten, mehr "Sekretär" als "General". Sein Sekretariat ist klein und hauptsächlich mit organisatorischen Aufgaben beschäftigt.
Protektionismus lebt wieder auf
Ein Scheitern der Liberalisierungsrunde würde nicht nur Bedauern auslösen. Namentlich die europäische Landwirtschaft - in der EU ebenso wie in den reichen Außenseitern Schweiz und Norwegen - würde aufatmen. Denn sie müsste für einen Erfolg den höchsten Preis zahlen: Die Exportsubventionen würden mittelfristig verschwinden, die staatlichen Subventionen im Innern würden massiv verringert.
Aber auch die Gewerkschaften würden einer gescheiterten Liberalisierung keine Träne nachweinen: Namentlich die Forderung der Entwicklungsländer, den Dienstleistungssektor weiter zu öffnen, würde die globale Konkurrenz für ihre Mitglieder verschärfen.
Umgekehrt wäre für die Exportindustrie eine Chance vertan, die hohen Importzölle der großen Entwicklungsländer für Industrieprodukte zu senken. Damit würde eine hohe Hürde bestehen bleiben, die gerade die am schnellsten wachsenden Märkte abschottet.
Wenn Lamy also nicht rasch Ergebnisse vorweisen kann, dürfte der Protektionismus wieder Oberwasser bekommen. Im Welthandel würde wieder das Recht des Stärkeren regieren.
Die beiden Welthandelsmächte USA und EU bereiten sich bereits darauf vor: Sie haben nach dem Scheitern von Cancún bereits angedroht, auf bilaterale oder regionale Freihandelsabkommen ausweichen zu können. Damit könnten auch Handelsstreitigkeiten wieder offen als Handelskriege ausgetragen werden, statt wie in den zehn Jahren seit der WTO-Gründung 1995 weitgehend schiedsgerichtlich in Genf gelöst zu werden.
Gemeinsames Auftreten der Entwicklungsländer
Offen ist, ob Lamy der richtige Mann ist, diese Herausforderungen zu lösen. Denn der eigentliche Grund des Scheiterns von Cancún war nicht die "mittelalterliche Organisation" gewesen - Lamy hatte damit das Prinzip der Einstimmigkeit in der 148 Mitglieder umfassenden WTO gemeint.
Der eigentliche Grund war die überraschende Geschlossenheit der großen Entwicklungsländer um Brasilien, Indien und Südafrika. Sie waren nicht länger bereit, sich die Ergebnisse der Verhandlungen von den USA und den EU diktieren zu lassen. Da ist es ein schlechtes Zeichen, wenn erneut ein Europäer die Führung in Genf übernimmt.
In der Geschichte der WTO und ihrer Vorgängerin GATT kamen nur zwei Chefs nicht aus Europa: Der Thailänder Supachai Panitchpakdi und sein neuseeländischer Vorgänger Mike Moore teilten sich die ablaufende Amtszeit.
Für viele Entwicklungsländer ist Lamy noch immer der Kommissar aus Brüssel. Der 58-Jährige muss erst beweisen, dass er sich an die geringere Machtfülle und das subtilere Spiel in Genf anpassen kann.
Pascal LamyWTO