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In der Steiermark veröden die Innenstädte, die Gemeinden steuern auf unterschiedliche Weise gegen.
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Knittelfeld/Leibnitz/Voitsberg. Sie befinden sich meist an der Peripherie der Stadt, ihr Angebot umfasst alles, was das Konsumentenherz begehrt - oder was zu begehren suggeriert wird. Beinahe jede der 200 österreichischen Städte verfügt mittlerweile über ein Einkaufszentrum oder ein Fachmarktzentrum, 218 sind es in Summe mit mehr als 3,5 Millionen Quadratmetern Fläche. Viele Innenstädte kämpfen hingegen seit Jahrzehnten gegen sinkende Kaufkraft und Geschäftesterben. Einige steirische Städte arbeiten mittlerweile an einer Aufwertung ihrer Zentren. Geld dafür gibt es jedoch kaum.
Auch die obersteirische Stadtgemeinde Knittelfeld verfügt seit 2012 über ihr "Einkaufszentrum-West", nun wurde im Gemeinderat mithilfe einer Mehrheitsallianz von SPÖ, ÖVP und BZÖ ein weiterer Ausbau des Einkaufszentrums beschlossen. Zur KPÖ hat sich nun auch die FPÖ auf die Seite der Gegner gesellt. Doch auch die Wirtschaftskammer hat sich von Anfang an gegen das Projekt ausgesprochen. Hier macht man sich große Sorgen um den Weiterbestand der Geschäfte in der Innenstadt. "Jede Stadteinfahrt sieht mittlerweile gleich aus, überall gibt es die gleichen Geschäfte. Da kann eine kleine Parfümerie in der Stadt nicht mithalten", beklagt KPÖ-Stadträtin Renate Pacher. "Wir stehen zu diesem Bau", bekräftigt hingegen Bürgermeister Siegfried Schafarik (SPÖ). Einige Geschäfte würden, bedingt durch den demografischen Wandel, auch so schließen. Schafarik ist zudem überzeugt, dass das bald erweiterte Einkaufszentrum auch willkommene Nebeneffekte für die Innenstadt haben kann: Wer schon einmal dort ist, könnte auch in Erwägung ziehen, sich die Stadt anzuschauen, so die Überlegung des Bürgermeisters. Die Geschäfte in der Stadt müssten eben die Herausforderung annehmen und mit den Geschäften an der Peripherie in Konkurrenz treten - auch mit der "Arena", dem Einkaufszentrum in der Nachbargemeinde Fohnsdorf.
In der südsteirischen Bezirkshauptstadt Leibnitz war man jahrelang mit dem Niedergang der Innenstadt konfrontiert. Erstmals zu spüren war dieser bereits vor zwanzig Jahren, als im sechs Kilometer entfernten Gralla ein Fachmarktzentrum eröffnet wurde. Seit wenigen Jahren befinden sich nun auch an der Stadteinfahrt von Leibnitz ein Einkaufs- und ein Fachmarktzentrum.
45.000 Personen betrug die Wochenfrequenz am besten Punkt der Leibnitzer Innenstadt im Jahr 2000. Ab 2008 stagnierte der Wert bei 30.000 - bei einem Einzugsgebiet von etwa 100.000 Personen. "Die Erkenntnis, wie wichtig die Innenstadt ist, kommt meist erst sehr spät, wenn die Geschäfte schon weg sind. In Österreich ist die Schmerzgrenze dafür noch nicht erreicht", so Dino Kada. Der Gewerbetreibende ist Mitglied der Plattform "Leibnitz lädt ein" und einer jener, die vor etwa drei Jahren beschlossen, etwas gegen die prekäre Lage in der Innenstadt zu tun. Damals haben sich einige Gewerbetreibende zusammengetan und Geld in einen Topf für ein Stadtentwicklungsprojekt gezahlt; nach und nach wurden immer mehr Beteiligte akquiriert. Nachdem der Tourismusverband und alle sieben Banken für eine sogenannte Immobilien- und Standortgemeinschaft (siehe Kasten) ins Boot geholt werden konnten, sagte auch die Gemeinde ihre Beteiligung zu. So wurde eine Trägerorganisation aufgebaut, in der jeder Geldgeber einen Sitz und eine Stimme hat. Nach einer Analyse des Ist- und Sollzustandes wurde ein Standort- und Stadtentwicklungsplan für drei Jahre ausgearbeitet. Darüber, wie viel Geld sich in diesem Topf befindet, will man keine Auskunft geben. Das Ziel des Projektes ist jedoch klar: Leibnitz soll nach Graz und Leoben die Nummer drei unter den Standorten werden. Mittlerweile hat das Projekt seine Halbzeit erreicht. Die Bilanz: Laut Kada sind alle leerstehenden Immobilien am Hauptplatz bereits vergeben. Eine Markthalle mit rund 10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche und ein Parkhaus sind in Planung. Auch die Fußgängerfrequenz in der Innenstadt ist erstmals wieder nachhaltig angestiegen. Angeblich gibt es auch schon Gespräche mit Betrieben über eine Abwanderung von der grünen Wiese in die Innenstadt.
Vom Land Steiermark gab es trotz Anfrage kein Geld. Hier würden immer nur Ein-Jahres-Projekte, sogenannte "Beruhigungspillen" ausgearbeitet, die sich lediglich auf eine Masterplanung beschränken, so Kada. Für Leibnitz wurde kein Marketing- oder Werbeplan ausgearbeitet, "denn mit Werbung kann man keine Investitionen herbeiholen. Es braucht einen Immobilienplan und die richtige Platzierung von Frequenzbringern, von denen in weiterer Folge auch die kleinen Anbieter im Umkreis von 100 Metern profitieren", erklärt Stadtentwickler Karl Schörghuber, der das Projekt von Beginn an mitbetreut hat.
Währens Leibnitz’ Innenstadt einen Aufschwung erlebt, herrscht in Voitsberg Tristesse. Die weststeirische Stadt verliert kontinuierlich an Einwohnern, nur mehr rund 9600 waren es zu Jahresbeginn - knapp 20 Prozent weniger als beim Höchststand im Jahr 1971. Einen "lebendigen Stadtkern" verspricht die Stadt zwar auf ihrer Webseite. Doch die Abwanderung nagt am Stadtbild, wie Zahnlücken in einem Gebiss wirken die leerstehenden Geschäfte. 2011 startete daher die Stadt unter SPÖ-Bürgermeister Ernst Meixner gemeinsam mit dem Verein "Netz.Werk.Stadt" einen Plan zur Aufwertung.
Gemeinde, Immobilienbesitzer und Unternehmer arbeiten in einer "CityGesellschaft" gemeinsam daran, den mittelalterlichen, langgestreckten Marktplatz wiederzubeleben. Nicht Schritt für Schritt, sondern mit einem großen Kraftakt sollen die Änderungen erfolgen. Bis zu drei Leitbetriebe, darunter ein Stadthotel mit mehr als 1000 Quadratmetern Nutzfläche, sollen über die Altstadt verteilt Kunden anlocken - auch Voitsberg giert nach den klassischen Frequenzbringern wie Textilketten. Die wiederum sollen kleinere Betriebe in die Voitsberger Innenstadt zurückbringen. Binnen zwei Jahren will man das Programm durchpeitschen. "Der Zeitplan ist ob der vielen Beteiligten ambitioniert", gibt Hans Draxler zu. "Aber die Pläne sind der professionellen Immobilienwirtschaft entnommen", sagt der Obmann von "Netz.Werk.Stadt", der früher selbst als Immobilienentwickler tätig war. Ambitioniert sind auch die Vorstellungen der Gemeinde: Sie will Gehsteige verbreitern, das Parkdeck erweitern und die Gehsteige mit der Fahrbahn auf ein Niveau bringen, um eine Begegnungszone zwischen Fußgehern und Autofahrern zu schaffen. Shared Space ist also auch außerhalb der Wiener Mariahilfer Straße en vogue.
Doch das Voitsberger Vorhaben ist kostspielig und Geld nicht vorhanden. "Alles steht und fällt mit ‚Jessica‘", erklärt Draxler. Hinter dem Namen verbirgt sich ein EU-Stadtentwicklungsfonds, mit Unterstützung der Europäischen Investitionsbank sollen 2014 bis 2020 rund 55 Millionen Euro für die Entwicklung verödeter österreichischer Innenstädte zur Verfügung stehen; alleine Voitsberg erwartet sich bis zu drei Millionen Euro. Auch hier gibt es keine Beteiligung vom Land Steiermark. "Jessica" ist aber keine neue Mittelquelle, sondern eine Art der Inanspruchnahme von Zuschüssen aus den EU-Strukturfonds. Ob das Programm überhaupt in Österreich angewandt wird, steht noch nicht fest. Denn die österreichische Raumordnungskonferenz muss ihr einstimmiges Okay geben; Steiermarks Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann verweigert die Zustimmung, weil die Zuschüsse bereits anderweitig gebunden seien. Im Jänner soll die endgültige Entscheidung fallen.
"Dabei bietet ‚Jessica‘ Gelder zu günstigsten Konditionen dank der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Investitionsbank und einer Regionalbank vor Ort", kritisiert Draxler das Nein des ÖVP-Landesrates. Durch den wiederbelebten Ortskern und neue Mietverträge sollen die Eigentümer die Darlehen zurückzahlen, so das Kalkül von "Netz.Werk.Stadt". Voitsbergs Initiative wird von Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung, und AK-Präsident Rudolf Kaske unterstützt. Bei der Umsetzung der EU-Strukturfonds solle nicht nur auf Zuschüsse, sondern auch Darlehen, Garantien und Eigenkapital gesetzt werden, meint auch Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl in einem Brief an Voitsbergs Bürgermeister. Ob trotz hochkarätiger Befürworter "Jessica" doch noch umgesetzt wird, scheint aber mehr als fraglich.
Immobilien- und Standortgemeinschaft
Die Idee dafür stammt aus Nordamerika, wo Shoppingcenter in den vergangenen Jahrzehnten eine dominante Rolle eingenommen haben. Um gegenzusteuern, wurde 1970 im kanadischen Toronto der erste "Business Improvement District" gegründet. Dabei handelt es sich um eine Selbstverpflichtungsinitiative von Immobilienwirtschaft, Grundeigentümern, Einzelhandel und Gaststättengewerbe in Form von Public Private Partnerships. Gewerbetreibende und Grundstückseigentümer schließen sich zusammen, um in einem örtlich abgegrenzten Bereich für einen begrenzten Zeitraum - üblich sind 3 bis 5 Jahre - Revitalisierungsmaßnahmen zu ergreifen und diese gemeinsam zu finanzieren. Mittlerweile gibt es mehr als 1000 solcher Initiativen in Nordamerikas Städten, und auch in Südafrika, Australien und Japan. Die erste Immobilien- und Standortgemeinschaft im deutschsprachigen Raum entstand 2004 im niederösterreichischen Tulln, hier stieg die Wochenfrequenz binnen vier Jahren von 18.000 auf 40.000 Personen.