Zuchtprogramm für die seltenste Kiwi-Art in Neuseeland.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Berlin. Sieben oder acht Mal hallt ein lang gezogener, schriller Pfiff durch den nördlichen Okarito-Wald. Jim Livingstone von der Naturschutzbehörde DoC (Department of Conservation) in Neuseeland lauscht diesem Konzert begeistert. Hört er doch gerade den Beweis, dass einer der seltensten Vögel des Landes vor dem Aussterben gerettet wird, der Rowi.
Mit den Rufen verteidigen die Männchen ihr Revier, ihre Partnerin singt in tieferer Tonlage. Diese Pfeif-Melodie des Rowi, auch Okarito-Streifenkiwi oder Apteryx rowi, drohte für immer zu verschwinden. Dabei rannten vor ein paar Jahrhunderten wohl noch einige Hunderttausend durch die Wälder im Westen der Südinsel und im Südosten der Nordinsel.
Menschen brachten Marder
Dann kamen mit den Polynesiern um 1200 und den Europäern um das 18. Jahrhundert erstmals Menschen ins Land, in dem außer ein paar Fledermaus-Arten vermutlich viele Jahrmillionen keine weiteren Säugetiere gelebt hatten. Die Menschen rodeten nicht nur Wälder - die Heimat der Vogelart Kiwi. Vor allem aber brachten die Europäer in den 1880er Jahren Hermeline und Wiesel, um eine importierte Kaninchen-Plage zu bekämpfen. Die Marder schätzen Eier als besondere Leckerbissen.
Ein ausgewachsenes Rowi-Männchen mit einem Gewicht von etwa 1500 Gramm oder ein noch kräftigeres Weibchen kann sich für gewöhnlich erfolgreich gegen ein 300 Gramm schweres Hermelin wehren. Nicht aber ein Küken.
Große Schnüffler
Die Rowis schnüffeln ähnlich wie alle Kiwis durch die Wälder: Anders als viele andere Vogelarten riechen sie sehr gut durch zwei "Nasenlöcher" am Schnabel. Dessen Spitze stecken sie tief in den Boden und ziehen lautstark Luft durch die Nase, um Würmer und Insekten zu erschnüffeln. Damit schlüpfen sie genau in die Rolle, die in Europa der Igel innehat.
Anders als dieser aber haben Kiwis keine Stacheln, sondern Federn. Damit schreckt man Hermeline, Hunde und Katzen kaum ab. Die Bestände aller fünf Arten der schnüffelnden Vögel begannen zu schrumpfen. Am schlimmsten erwischte es den Rowi: 1998 lebten im südlichen Okarito-Wald nur noch weniger als 200 auf 110 Quadratkilometern. Kiwis sind nicht nur die Nationalvögel Neuseelands, sondern auch Identitätsstifter: So stellen sich die Bewohner meist mit "Ich bin ein Kiwi" vor. Kurzum: Der Kiwi-Vogel musste gerettet werden.
Die Gründe für das Dahinsiechen waren schnell ermittelt: Es werden viel zu wenige Tiere erwachsen. So legen die letzten Rowis im Okarito-Wald zusammen rund 80 Eier im Jahr. Nach zwei Jahren sind daraus gerade einmal zwei erwachsene Rowis geworden. Das Schicksal von 95 Prozent der restlichen Küken endete im Magen eines Hermelins.
DoC-Ranger schwärmten daher aus und bauten von 2001 bis 2006 gut verteilt 3000 Schlagfallen auf. Damit konnte DoC die Marder zwar dezimieren, es blieben aber genug übrig, um Rowi-Küken zu verspeisen.
"In jeder Saison holen wir daher 30 Tage nach Beginn der Brut alle Eier aus dem Wald, die wir finden", erklärt Livingstone. Um die Brutplätze rechtzeitig zu finden, rüsteten die Ranger 120 Tiere mit einem Messgerät aus, das den Aufenthaltsort und seine Aktivitätsmuster an ein "Sky Ranger" genanntes Flugzeug überträgt. Beginnt ein Vogel zu brüten, ist sein Bewegungsradius wesentlich geringer. GPS- und Bewegungssignale verraten den DoC-Rangern genau, wann und wo ein Rowi zu brüten beginnt. Insgesamt sammeln sie in einer Saison rund 60 Eier, die in den Brutschränken der Aufzuchtstation in Franz-Josef gewärmt werden.
Eine Woche nach dem Schlüpfen dürfen die Küken auf ein geschütztes Gelände. Sobald sie 600 Gramm wiegen, ziehen sie auf die Motuara-Insel in den Marlborough Sounds im Norden der Südinsel um. Auch dort gibt es keine Feinde. "Wenn sie mindestens 1200 Gramm wiegen, sind sie kräftig genug, um sich gegen Hermeline zu wehren", erklärt Livingstone. Durchschnittlich 35 Rowis lassen die DoC-Ranger jährlich frei. Von diesen sterben zwar bis zu ihrem vierten Lebensjahr noch einmal rund sieben Tiere, weil sie etwa ertrinken oder in einem Erdloch stecken bleiben. Doch ist das ein großer Fortschritt im Gegensatz zur freien Natur.
400 Rowis heimisch
Im Okarito-Wald schnüffeln inzwischen wieder rund 300 Rowis. Weitere 40 Junge wurden 2010 und 2011 freigelassen. 34 haben überlebt und Livingstone kann ihren Pfiffen lauschen. Und das vermutlich noch lange - immerhin kann ein Rowi 80 Jahre alt werden, während andere Kiwis nur rund die Hälfte dieser Zeit leben. Bis 2013 wurden weitere 21 Rowi-Küken auf der Mana-Insel vor dem Südwesten der Nordinsel Neuseelands freigelassen, um eine weitere Population aufzubauen. Insgesamt leben auf Flächen von zusammen rund 210 Quadratkilometern inzwischen ungefähr 400 Rowis - die Kiwis können ein wenig optimistischer als noch 1998 in die Zukunft blicken.