Die ÖVP muss sich im Rennen um den Kanzlersessel halten, um ein vernünftiges Maß an Geschlossenheit zu erreichen.
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Sichtliche Genugtuung: Michael Spindelegger vergaß im Schnellabgang nicht darauf, (s)eine solide Bilanz in Wahlgängen aller Art zu erwähnen, einschließlich der Volksbefragung über die Einführung eines Berufsheeres. Dass seine Volkspartei in der Sonntagsfrage für die Nationalratswahl aktuell um die 20 Prozent "herumgrundelt" (Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer), stellt keine Premiere dar: Solche Phasen hat es in den vergangenen 20 Jahren immer wieder gegeben.
Der Parteiapparat ist kampagnenfähig, die Parteiorganisation in Nieder- und Oberösterreich von beachtlicher Schlagkraft. Die Funktionärsbasis ist genervt von internen Querelen, wirkt aber keineswegs niedergeschlagen. Mangelndes Selbstvertrauen lässt sich auch den gewichtigsten Kritikern der Regierungsperformance in den Landesparteien nicht nachsagen - ganz im Gegenteil. In manchem Fall ist es üppiges, aber gesundes Selbstvertrauen: Hier finden sich auch Charismatiker und Reformer.
Selbstbewusstsein und manches kritische Wort stimmen, doch fehlt die letzte Konsequenz: Seit Jahrzehnten scheuen populäre Landesväter der ÖVP den politischen Elchtest eines Wechsels an die Parteispitze beziehungsweise in die Bundesregierung. Im eigenen Land regiert es sich wesentlich bequemer. Königsmacher Erwin Pröll ist bestenfalls für das Amt des Bundespräsidenten zu haben.
Währenddessen übernimmt in der Bundespartei ein zwar sachkompetenter Politiker mit "Macherimage" das Ruder, der aber über keine Hausmacht verfügt; dessen politische Karriere auffällige Verzögerungen und Umwege aufweist und der zuletzt im Rennen um die Nachfolge Pühringers in Oberösterreich den Kürzeren zog.
Was wird von Neo-Parteichef Reinhold Mitterlehner gefordert sein? Es bedarf zumindest eines Hauches von Leadership, um die unzufriedenen Teile im Führungskader der Partei mit der eigenen, 27 (!) Jahre währenden Regierungsrolle zu versöhnen. Gerade in diesem Punkt müssen sich die Chefs von Landesparteiorganisationen und Bünden in die Pflicht nehmen lassen: Die meisten unter ihnen halten an dem Dogma fest, dass es die Partei auf den Oppositionsbänken automatisch "zerreißen" würde.
Das mag ihm qua Persönlichkeit gelingen, er benötigt früher oder später jedoch eine passende Projektionsfläche, um volle Wirkung zu entfalten: die Kanzlerschaft. Das Setzen inhaltlicher Akzente oder das Treffen strategischer Weichenstellungen können nur Mittel zum Zweck sein. Im gegenwärtigen Zustand ist die ÖVP unfähig, eine umfassende Programm- oder Organisationsreform durchzuführen.
Die Volkspartei muss sich jedenfalls im Rennen um den Kanzlersessel halten. Das ist der Hebel, um ein vernünftiges Maß an Geschlossenheit zu erreichen. Die Chancen darauf sind intakt, solange die Parteieinheit gewahrt bleibt. Gut möglich, dass Wolfgang Schüssels einstige, die Parteitagsdelegierten elektrisierende Ansage in der laufenden Legislaturperiode noch einmal Verwendung findet: "Ich möchte mit eurer Hilfe Bundeskanzler werden!"