Zum Hauptinhalt springen

Rettungsfonds kein sicherer Hafen

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft
Der belgische Ökonom Hans Geeroms ist für eine Schuldenagentur, die interne Zinsaufschläge für die Länder festlegt. Er war auf Einladung des Austria Instituts für Europa und Sicherheitspolitik in Wien. pess

Anleger verlangen für Anleihen des Eurohilfsfonds EFSF hohe Risikoprämien.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Italiens Probleme lassen die gesamte Architektur der Eurorettung bröckeln. Zusätzlich zu Sorgen, dass der Rettungsschirm EFSF trotz Aufstockung und Hebelung zu klein sein oder Frankreichs Triple-A-Rating wackeln und als Top-Garantiegeber ausfallen könnte, kommt nun noch das Misstrauen der Anleger.

Der EFSF, für den die Euroländer anteilig garantieren, war eigentlich als höchst sicheres Investment konzipiert. Er sollte sich dadurch günstige Kredite besorgen und an die Problemländer weiterreichen können. Diese Kosten steigen allerdings deutlich: Die Investoren fordern immer höhere Risikoprämien, sagt der belgische Top-Ökonom Hans Geeroms im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". So ist der Zinsabstand einer EFSF-Anleihe, die bis 2016 läuft, gegenüber vergleichbaren deutschen Bundesanleihen (der Richtschnur für sichere Investments) am Montag auf den Rekordwert von knapp 1,8 Prozentpunkten geklettert. Anfang 2011 lag dieser Risikoaufschlag bei 0,48 Prozentpunkten. Damit verteuern sich künftige EFSF-Kredite.

"Die EFSF-Anleihen werden vom Markt nicht für die Flucht in den sicheren Hafen angenommen", erklärt Gottfried Steindl, Analyst der Raiffeisen Bank International: "Dafür weichen die Anleger in deutsche Bundesanleihen aus." Ein weiteres alarmierendes Indiz: Die Aufschläge für Italiens Schuldpapiere zeigen einen inversen Verlauf, das heißt, sie sind für kürzere Laufzeiten mittlerweile höher als für längere. "Das ist ein Signal, dass der Markt insbesondere für die nahe Zukunft nicht sehr zuversichtlich ist", so Steindl.

Zudem habe sich Europas Politik mit den jüngsten Banken-Stresstests "selbst ein Ei gelegt". Dabei mussten die Großbanken europäische Staatsanleihen erstmals zu aktuellen Marktpreisen bewerten - selbst wenn sie diese gar nicht handeln, sondern bis zur Rückzahlung in der Bilanz halten wollen. Das hat zusätzlich für Verkaufsdruck auf Italien und Co. gesorgt: "Dadurch wird das Anleihensegment volatiler."

Finanzminister von Europa

Wenn selbst gewaltige Rettungsschirme und immer neue Sparpläne das Vertrauen der Investoren nicht gewinnen, was kann dann noch einen Gesinnungswandel herbeiführen?

"Im letzten Jahr haben wir mehr Fortschritt bei der europäischen Integration erzielt, als in zehn Jahren davor", betont
Geeroms. "Dennoch sind wir den Entwicklungen nachgehinkt."

Der belgische Ökonom plädiert deshalb dafür, den EU-Währungskommissar zum Chef eines Budget-Überwachungskomitees, also zu einer Art europäischem Finanzminister, zu machen: Wenn sich ein Land nicht an Budgetvorgaben hält, muss es die Kontrolle über seine Staatsfinanzen schrittweise abgeben.

Der Druck der Märkte lasse zudem keine andere Wahl als die Gründung einer gemeinsamen Schuldenagentur, die europäische Schulden-Zertifikate auf dem Finanzmarkt herausgibt. Den üblichen Begriff Eurobonds vermeidet Geeroms bewusst - sein Konzept soll nicht zur Fahrlässigkeit verleiten. Die Zertifikate sollen nur für neue Kredite herangezogen werden - und auch dann nur bis zu jener Grenze, die den Nationalstaaten vom Budgetkomitee gesetzt wird. Macht ein Staat darüber hinaus Schulden, müsste er diese (erheblich teurer) selbst auf dem Markt unterbringen.

Die Schuldenagentur würde die Kredite nach einem Bonus-Malus-System weiterreichen - mit Auf- oder Abschlägen, je nachdem, ob sich Staaten an die Vorgaben des Budgetkomitees halten und wie hoch die Gesamtschulden sind. Geeroms schwebt dafür ein technokratisches Modell vor - ähnlich der Zinsfestsetzung durch die Europäische Zentralbank (EZB).

Österreich profitiert davon

Damit soll Kritikern Wind aus den Segeln genommen werden: Österreich und Deutschland fürchten, dass die Zinskosten mit Eurobonds steigen würden: "Die internen Kosten könnten für Triple-A-Länder sogar sinken", sagt Geeroms. Auf lange Sicht würde die Eurozone als weltgrößter Anleihenmarkt von günstigeren Konditionen profitieren. Die EZB könnte sich auf ihre Kernaufgabe Preisstabilität konzentrieren.

Aber würden Eurobonds überhaupt Käufer finden, wenn die (ähnlich konstruierten) EFSF-Anleihen skeptisch beäugt werden? "Es gäbe kaum Ausweichmöglichkeiten", sagt Steindl. Er vermutet, dass die externen Kosten für Eurobonds zwar nicht so günstig wie deutsche oder österreichische Bundesanleihen wären. Einen Markt würden sie aber finden: "Worin will eine Bank oder Versicherung sonst investieren?"