Ob Erdbeben, Tsunamis, Baustellenunfälle oder Gebäudebrände, meist ist die wichtigste Frage nach solchen Katastrophen: wie viele Menschen sind noch unter den Trümmern begraben und wie können wir sie retten? Genau darüber macht sich die "robotics group" um Professor Andreas Birk an der Internationalen Universität in Bremen (IUB) Gedanken. Schon seit vier Jahren bauen und programmieren die Wissenschaftler Roboter, die Menschenleben retten sollen. "Denn leider steht ein Einsatzleiter bei Katastrophenfällen oft vor dem Problem, wie er eine verunfallte Person retten kann, ohne das Leben seiner Mannschaft zu gefährden", so der Professor für Informatik.
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Birk sitzt vor dem Display seines Steuerlaptops. Per Funk sendet er Signale an seinen Lieblingsroboter "Papa Gans". Der kleine Rettungsroboter passt durch viele Durchgänge und Schlupflöcher, durch die sich ein Mensch niemals quetschen könnte. Er fährt auf sechs Rädern und erinnert ein bisschen an einen Spielzeugpanzer. "Papa Gans" führt zwar keine Waffen mit sich, dafür aber ein ganzes Arsenal an hochtechnischen Geräten. Kreiselkompass, elektronischer Kompass, Beschleunigungsmesser und Wegstreckenmesser ermöglichen ihm eine optimale Orientierung. Ein Laserscanner kann über Infrarotlicht Entfernungen messen und damit mögliche Hindernisse erkennen, die der Roboter umfahren muss. Eine Wärmekamera identifiziert schließlich alle Objekte mit einer Temperatur um die 37° Celsius - also verunglückte Menschen. "Papa Gans ist wirklich gut ausgerüstet, wir können über CO2-Sensoren sogar die menschliche Atmung detektieren", erklärt Birk begeistert, während er den Roboter über eine Rampe aus kaputten Dachziegeln fahren lässt.
Leben und Sicherheit
Langsam kommt eine menschenähnliche Puppe ins Bild - ein unter Backsteinhaufen liegender künstlich beheizter Dummy. Und tatsächlich, die Wärmekamera zeichnet die Körperform in einer gelben Signalfarbe vor dunkelblauem Hintergrund. Bald darauf funkt "Papa Gans" eine komplette Karte des Unfallorts samt Aufenthaltsort des verschütteten Opfers. "So kann im Ernstfall die genaue Lage des Opfers angezeigt werden und die Feuerwehr hat eine gute Möglichkeit, den Verschütteten schnell zu finden und mögliche Gefahren bei der Rettung abzuschätzen", erklärt Birks italienischer Mitarbeiter Dr. Stefano Carpin.
Kommunikation per Funk
Denn Zeit ist ein wesentlicher Faktor bei Unglücksfällen. Im Extremfall können fünf Minuten über Leben oder Tod entscheiden. Durch den Rettungsroboter können die Helfer auch per Funk oder ein spezielles Glasfaserkabel mit den verschütteten Menschen kommunizieren. Eine psychologische Hilfe, die bei den Opfern oft enorme Kräfte zum Durchhalten bewirken kann. "Bald wollen wir soweit seien, dass wir den Eingeschlossenen durch die Roboter sogar ein Glas Wasser oder Medikamente bringen können," hofft Carpin.
Obwohl die Roboterbauer "Papa Gans" derzeit noch über Netzwerkverbindungen dirigieren, wird für diesen Sommer eine möglichst große Autonomie der Roboter angestrebt. "Was in einem typischen Katastrophengebiet in der Regel wenig vorhanden ist, sind Menschen", sagt Birk. "Idealerweise sollte daher ein Helfer alle Roboter gleichzeitig kontrollieren können." Die Maschinen könnten dann selbstständig das Katastrophengebiet untersuchen und sich beim menschlichen Bediener melden, sobald sie etwas Interessantes gefunden haben.
Um die Roboter besser testen zu können, ist die Bremer Versuchsarena in drei Räume mit steigenden Schwierigkeitsgraden unterteilt. Hier können die Informatiker auch verschiedene Szenarien unterschiedlicher Katastrophen durchspielen. Im "gelben" Raum wird derzeit ein relativ geringer Schaden nachgestellt. Es sind lediglich einige Gegenstände umgekippt oder heruntergefallen, aber die Umgebung ist noch weitgehend strukturiert und der Roboter kann sich auf flachem Boden bewegen.
Im "orangenen" Raum sind Trümmer und Möbelstücke wahllos verteilt. Er entspricht den Verhältnissen in einem Gebäude, das heftig erschüttert wurde, aber noch steht. Um hindurch zu fahren, muss sich der Roboter dreidimensional orientieren können.
Der "rote" Raum gleicht dem Trümmerfeld in einem zusammengestürzten Gebäude. Die Umgebung ist völlig unstrukturiert und es besteht die Gefahr, den Schaden durch unvorsichtige Bewegungen noch zu verschlimmern. "Hierbei ist nicht zuletzt künstliche Intelligenz gefragt", erklärt Birk.
Roboter-Connection
Alle diese Szenarien haben eine Aufgabenstellung gemeinsam: Die Roboter sollen die Situation genau erfassen und möglichst viele menschliche Opfer identifizieren. "Dafür müssen wir bei großen Unglücken auch mit mehreren Robotern arbeiten können, die unabhängig voneinander Karten erstellen können. Wir führen die Karten dann zusammen und können so eine Art strategischen Rettungsplan entwerfen", sagt Carpin.
Gerade bei großen Gebäudeeinstürzen, die sich womöglich auch noch auf mehreren ehemaligen Stockwerken abgespielt haben, müssten die "kleinen Retter" im Inneren des Gebäudes dann selbst entscheiden, welcher Roboter welche Aufgabe übernimmt, damit das große Gesamtproblem gelöst wird.
Eingesetzt haben die Bremer ihre Roboter bis jetzt erst bei Wettbewerben wie dem "RoboCup" 2003 in Padua. Hier konnte sich "Papa Gans" mit anderen Rettungsrobotern aus Amerika, Japan oder dem Iran messen. Doch Birk denkt, dass die Entwicklungen seines Teams in zwei bis drei Jahren soweit sind, sich auch in realen Unglücksfällen zu bewähren.