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Gestern hat Reuters nicht nur Schlagzeilen geschrieben, sondern auch gemacht. Die britische Informationsgruppe gab einen Rekordverlust von 493 Mill. Pfund (735 Mill. Euro) bekannt. Bis 2005 wird die Zahl der Arbeitsplätze um 3.000 auf 13.000 weiter drastisch verringert. Nach Einschätzung der britischen Medien ist es die schwerste Krise in Reuters' 152-jähriger Geschichte.
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Kaum ein Medienunternehmen blickt auf eine so stolze Historie zurück. 1851 von dem Kasseler Paul Julius Reuter in London gegründet - wo er heute sein eigenes Standbild hat --, meldete die Agentur 1865 die Ermordung von US-Präsident Abraham Lincoln zwei Tage früher nach Europa als die Konkurrenz. Solche "scoops" - Knüller - begründeten damals den Ruf von Reuters als wichtigstem Nachrichtenlieferanten der Welt.
Heute macht das Nachrichtengeschäft nur noch einen kleinen Teil des Umsatzes in Höhe von mehr als 5 Mrd. Euro aus. Über 90% werden mit Finanzdienstleistungen erwirtschaftet. So bietet die 1984 an die Börse gegangene Aktiengesellschaft Software-Lösungen für die gesamte Abwicklung des Wertpapier- und Devisenhandels an. 1999 hatten über eine halbe Million Manager, Händler und Broker in 157 Ländern Zugriff auf Reuters-Dienste.
Damals, auf dem Höhepunkt des Internet- und Börsenbooms, schien dies genau die richtige Strategie zu sein. Doch seitdem ist Reuters' Aktienkurs um 90% eingebrochen. In der Londoner City, an der New Yorker Wall Street und in den anderen Finanzzentren verloren Zehntausende von Bankern und Brokern ihre Stelle - und verzichteten fortan auf Reuters' Dienste. Die elektronische Handelsplattform Instinet verzeichnete allein im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von 30%.
Inzwischen fordern viele Analysten, dass sich Reuters wieder auf sein Kerngeschäft konzentrieren müsse. Dass der Nachrichtenlieferant unbedingt auch die technischen Systeme für die Informationsübermittlung anbieten wolle, sei etwa so, wie wenn eine Fluggesellschaft auch ihre eigenen Flugzeuge bauen wolle, meinen Kritiker. Ein Vorstandsmitglied von Reuters wurde in der "Financial Times" mit den Worten zitiert: "In der zweiten Hälfte der 90er Jahre haben wir uns von der ganzen Internet-Sache mitreißen lassen und wild investiert."
Schwer zu schaffen macht Reuters auch die harte Konkurrenz, etwa von Thomson Financial und vor allem von der amerikanischen Bloomberg, die von einigen Analysten als produktiver und aggressiver eingestuft wird.
Der Unterschied zeige sich schon bei einem Besuch der Unternehmenszentralen, heißt es: Bei Bloomberg gestylte Mitarbeiter, Aquarien, freies Essen und Trinken, im Reuters-Hauptquartier in der historischen Londoner Zeitungsstraße Fleet Street alles alt-ehrwürdig.
Aber auch dort ist nun vieles im Umbruch. Tom Glocer, der erste Reuters-Chef, der kein Journalist ist, sondern Jurist, will eine tief greifende Strukturreform mit dem Namen "Fast Forward" durchziehen. Dabei soll das Hauptaugenmerk wieder dem gelten, was Reuters groß gemacht hat: "Indem wir uns auf die Reuters-Kernkompetenzen als Informations-Dienstleister konzentrieren, können wir unsere Marktanteile wieder ausbauen, uns von den Wettbewerbern absetzen und profitabel werden", meint der Amerikaner.
Der Aktienkurs brach am Dienstag allerdings erst einmal um 11% ein: Umstrukturierungen kosten eben immer viel Geld. Erschwerend hinzu kommt, dass Reuters für dieses Jahr noch keine Erholung seiner Märkte erwartet. Wenn erst mal wieder positive Wirtschaftsnachrichten auf den Draht gehen würden, dann hätte wohl auch die Krise des Überbringers ihren Tiefpunkt überschritten. dpa