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Nicaragua erlebt die schlimmste politische Krise, das schlimmste Blutvergießen seit dem Ende des Contrakriegs 1990.
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Schwer bewaffnete Angriffe auf die Stadt Masaya und die Nationale Autonome Universität von Nicaragua, Zentren der Opposition und des studentischen Widerstandes, in einer Woche - Daniel Ortegas Strategie war klar: jedes Zeichen
des Widerstandes vor dem 19. Juli auszulöschen. Nicaraguas Präsident hatte die "Operation Säuberung" ausgerufen, die aus dem Zerstören der Barrikaden, Ermorden von Demonstranten, Verfolgungen und Festnahmen bestand. Vor allem junge Leute flüchteten.
Zu feiern gab es demnach nichts am 39. Jahrestag der Sandinistischen Revolution. Zwischen 18. April und 19. Juli kamen in Nicaragua laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen 400 Menschen ums Leben. Es ist die schlimmste politische Krise, das schlimmste Blutvergießen im Land seit dem Ende des Contrakriegs 1990.
Dabei richteten sich die Proteste zunächst gegen die geplante Reform der Sozialkassen. Am 22. April stoppte Ortega diese, auch aufgrund der massiven Proteste. Aber die Demonstrationen gingen weiter und richteten sich, auch wegen der Gewalt, die Ortega ausgeübt hatte, gegen ihn und Vize-Präsidentin Rosario Murillo, seine Frau. Mindestens 41 Menschen waren in nur fünf Tagen von Sicherheitskräften und Paramilitärs ermordet worden.
Ortega weist die Vorwürfe zurück, verdreht die Tatsachen. Die Demonstranten nennt er "Terroristen"; die Proteste gegen die Regierung seien ein Zeichen, dass "der Teufel seine Krallen zeigt". Die Kirche, die zu vermitteln versuchte, sei Teil eines Putschplanes. Journalisten, die über die Repression berichten, werden bedroht. Die Revolution ist auf Abwege geraten, eine neue Revolution bahnt sich an. Ortega kämpfte einst gegen den Diktator Anastasio Somoza. Nun ist er dabei, selbst ein autoritärer Herrscher zu werden.
Der 72-Jährige will um jeden Preis an der Macht bleiben. 2006 wurde
er nach 16 Jahren Pause und dank selbstgeschustertem Wahlgesetz nochmals zum Präsidenten gewählt, 2011 und 2016 dann wiedergewählt; eine Mandatsbeschränkung gibt es nicht. Er ging zweifelhafte Bündnisse ein, besetzte Schlüsselpositionen mit Verwandten und Freunden.
Studenten und Bauern sind nun die Protagonisten der Proteste gegen Ortega, der auch die Unterstützung von Kirche und Unternehmern verloren hat. Selbst einstige Weggefährten haben sich abgewendet.
Wie es weitergeht, ist ungewiss. Eine Rückkehr zur Situation vor dem 18. April scheint unmöglich zu sein. Aber auch ein Fortführen der Proteste wie bisher, mit Barrikaden und selbstgebauten Waffen, ist kaum denkbar. Fundamental dürfte sein, dass die Leute die Angst verloren haben; viele der Toten sind Kinder früherer sandinistischer Kämpfer.
Viele Nicaraguaner halten das Verhalten der internationalen Gemeinschaft für entscheidend, deren Druck nach langem Schweigen endlich zugenommen hat. Die UNO mahnte ein Ende der staatlichen Gewalt ein. Die Organisation Amerikanischer Staaten forderte ein Vorziehen der Präsidentschaftswahl von 2021 auf 2019. USA und EU verurteilten die jüngsten Angriffe.
Anders als Venezuela, eines der ölreichsten Länder der Welt, hält das kleine Nicaragua, so die Hoffnung, isoliert nicht so lange durch.