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Tumorzellen schalten die körpereigene Abwehr aus - neue Krebstherapien können dem entgegenwirken.
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Wien. Das körpereigene Immunsystem schützt den Menschen für gewöhnlich vor Krankheitserregern wie Viren, Bakterien und Pilzen, ist aber ebenso in der Lage, schadhafte Körperzellen zu zerstören. Bei Krebszellen sieht die Sache allerdings gänzlich anders aus. Ihnen gegenüber ist unser Immunsystem nämlich machtlos. Warum der Abwehrmechanismus bei Tumoren nicht funktionieren kann und welche Lösungsansätze die Onkologie bieten kann, erklärte Christoph Zielinski, Koordinator des Comprehensive Cancer Center (CCC) im Wiener AKH, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
"Der Tumor und das ihn umgebende immunologische System interagieren derart, dass die Krebszellen die Effektivität des Immunsystems herunterfahren." Dabei kann unsere Abwehr noch so sehr intakt sein. In dem Moment, wo sie in die Umgebung der Krebszellen kommt, wird sie gehemmt.
Gehemmte T-Zellen
Es sind die im Knochenmark erzeugten sogenannten T-Zellen, eine Gruppe weißer Blutzellen, die ihre ureigene Aufgabe nicht erfüllen können. Auf ihnen befinden sich Antennen für eine Eigenart, die der Tumor ebenso an seiner Oberfläche besitzt. Aufgrund der Interaktion zwischen diesen Antennen bleibt die Immunantwort aus, so Zielinski. Da sie ja aus körpereigenen Zellen entstanden sind, tragen Tumorzellen an ihrer Oberfläche das Selbst-Antigen, das sie als "zum Körper gehörend" kennzeichnet. Fremde Eindringlinge sind im Gegensatz dazu vom Immunsystem relativ leicht zu erkennen. "Schadhafte Zellen werden daher nicht so unbedingt und nicht so hemmungslos ausgelöscht."
Ein zu scharf schießendes Immunsystem, das auf kleinste zelluläre Veränderungen reagieren würde, wäre wiederum ein großer Nachteil für den Organismus. Es hätte eine Reihe von Autoimmunerkrankungen zur Folge. Hierbei sieht das Immunsystem körpereigenes Gewebe irrtümlicherweise als zu bekämpfenden Fremdkörper an.
Gegen die zuvor beschriebene Neutralisierung des Immunsystems haben die Wissenschafter mittlerweile jedoch Lösungsansätze parat. Mit der sogenannten Immuntherapie kann nämlich die körpereigene Abwehrkraft gegen Tumoren wieder gesteigert werden. Die neue Behandlungsmethode gilt als Revolution in der Onkologie, wie zuletzt auch beim Jahreskongress der Amerikanischen Gesellschaft für Onkologie (ASCO) in Chicago deutlich gemacht wurde.
Es handelt sich um Proteine wie CTLA-4 oder PD-1, die T-Zellen an ihrer Abwehrfunktion hindern. Der monoklonale Antikörper Ipilimumab richtet sich etwa gegen CTLA-4 und wurde als erster derartiger Wirkstoff zur Behandlung von Hautkrebspatienten zugelassen. Nivolumab und Pembrolizumab sind gegen PD-1 gerichtete Antikörper.
Erfolgreicher Einsatz
Das Melanom war die erste Krebsart, der man sich angenähert hat und sich die Immuntherapie als erfolgreich gezeigt hat. Doch "der wahre Durchbruch ist jetzt beim Lungenkarzinom gekommen", berichtete Zielinski. So zeigt sich laut einer beim US-Kongress präsentierten Studie der Wirkstoff Nivolumab nach Versagen der Chemotherapie als gute Option für Patienten mit einer bestimmten Art von Lungenkrebs. Die damit behandelten Patienten lebten länger und hatten geringere Nebenwirkungen.
Eine weitere beim Kongress präsentierte Untersuchung lieferte einen Hinweis darauf, dass eine bestimmte genetische Veränderung bei Patienten mit Dickdarm-, Endometrium- und anderen Krebsformen vorhersagen könnte, ob der Anti-PD1-Antikörper Pembrolizumab einsetzbar ist. Zur Vorhersage dienen in der Krebsbehandlung zumeist spezielle Marker. Diese sind auch extrem hilfreich für die Auswahl der optimalen Therapie. Hinweise auf immunologische Marker gibt es, doch "sind diese wahrscheinlich nicht, wie wir den Eindruck haben, der Weisheit ganz letzter Schluss", betonte der Onkologe. Es gebe auch solche, die zwar die Tüchtigkeit des Immunsystems messen, aber nicht in jeder Beziehung vorhersagen könnten.
Die Wissenschafter sind auf jeden Fall davon überzeugt, dass diese Immuntherapeutika eine breitere Wirksamkeit als jene Medikamente haben, die in den vergangenen Jahren in der zielgerichteten Krebstherapie angewendet wurden.
Doch keine Wirkung ohne Nebenwirkung. "Man muss davon ausgehen, dass alles, was das Immunsystem aktiviert, dazu führt, dass es zu einer immunologischen Überreaktion kommt", betonte Zielinski. Im Zuge von Immuntherapien können demnach verschiedenste Autoimmunerkrankungen aufblühen.
Aber "man hat den Eindruck, dass sich sehr wohl der eine oder andere Tumor so einpendelt, dass es vielleicht bei einem Teil der Patienten zu einer Balance zwischen Immunsystem und Tumor kommt", so Zielinski zum Erfolg der neuen Therapien.
Schnelles Auswahlverfahren
In puncto Chemotherapie könnte künftig eine neue technische Errungenschaft dazu beitragen, schneller zur richtigen Auswahl zu gelangen. Denn bisher dauert es oft Wochen, bis Onkologen den weltweit wachsenden Bestand an Daten über Untersuchungs- und Test-Ergebnisse ausgewertet hätten. In Kooperation mit der Berliner Charité hat das deutsche Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik eine neue Lösung präsentiert, mit der in Minutenschnelle die für einen Krebspatienten optimale Chemotherapie ermittelt werden kann, heißt es in einer Aussendung von Mittwoch.
Mithilfe der neu entwickelten Höchstgeschwindigkeits-Datenbank können Ärzte etwa das Ansprechen von Tumoren auf bestimmte Medikamente besser vorhersagen und die Wirkstoffmengen reduzieren.