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Tunesiens Premier tritt nach Protesten zurück. | Aufstrebende Mittelschicht Basis für Demokratie. | Tunis. Der Diktator ist gestürzt, aber die Revolution ist noch nicht zu Ende. In Tunesien setzen Massenproteste die Übergangsregierung unter Druck. Premier Mohammed Ghannouchi trat bereits zurück. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er dem Regime des gestürzten Ex-Diktators Zine el-Abidine Ben Ali in verschiedenen hochrangigen Funktionen gedient hatte. Auch Industrieminister Mohammed Afif Chelbi legte nun aus demselben Grund sein Amt nieder.
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Zum neuen Vorsitzenden der Übergangsregierung ernannte Interims-Präsident Fouad Mebazza ein Urgestein der tunesischen Politik: Nämlich den 84-jährigen Anwalt Beji Caid Sebsi, der seit der Unabhängigkeit 1952 verschiedene Ministerämter innehatte und nun das Land in die für Juni vorgesehenen Wahlen führen soll. Doch dieser Schritt sorgte bei der Demokratiebewegung für Unmut. Die einflussreiche Gewerkschaft UGTT bezeichnete die Ernennung Sebsis als "überstürzt".
Hartnäckige Proteste
Die UGTT ist Teil des sogenannten "Rates zum Schutz der Revolution", dem etwa auch die Anwaltsvereinigung und verschiedene kleinere Parteien angehören. Der Rat hatte die jüngsten Proteste, an denen am Wochenende zehntausende Menschen teilnahmen, organisiert. Eine Gruppe von Demonstranten campiert weiterhin vor dem Präsidentenpalast. "Wir werden unsere Sitzblockade bis zur Bildung einer verfassunggebenden Versammlung aufrechterhalten", sagte ein Teilnehmer.
Die tunesische Demokratiebewegung bleibt also äußerst wachsam, und das Land hat auch nach Ansicht vieler Beobachter innerhalb des Maghrebs die besten Voraussetzungen für einen demokratischen Wandel.
Als Grund dafür wird oft genannt, dass in Tunesien immer von Zivilisten angeführte Regimes an der Macht waren. "In Tunesien hat das Militär nie eine große Rolle in der Geschichte des Landes gespielt" erklärt der Politologe Rachid Ouaissa von der Universität Marburg. "Deshalb nahm es auch so eine positive Rolle während der Revolution gegen Ben Ali ein." In Ägypten hingegen sei das Militär eine der Hauptsäulen des Systems. "Und wenn dort das System wackelt, wackeln auch die Interessen der Armee."
Zudem sei Tunesien wohlhabender und industrialisierter als andere Länder des Maghreb. "Tunesien ist eines der wenigen Ländern in der arabischen Welt mit einer marktorientierten, gebildeten und aufsteigenden Mittelschicht, die nicht für radikale Tendenzen zu gewinnen ist", betont der Maghreb-Experte gegenüber der "Wiener Zeitung". Diese Gesellschaftsstruktur würde eine gute Basis für einen demokratischen Wandel bilden.
Derzeit spielen sich aber Turbulenzen ab. So kam es am Wochenende im Zuge der Proteste zu heftigen Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, bei denen mindestens fünf Menschen getötet wurden.