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Revolution liegt in der Luft

Von Walter Hämmerle

Politik

Werner Faymann will um seinen Job kämpfen - am 1. Mai wird sich zeigen, was die Partei davon hält. Eine Analyse.


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Dass es sich beim 1. Mai um einen Kampftag handelt, bei dem es keineswegs nur um einen symbolischen Machtbeweis geht, davon musste man gestandene Sozialdemokraten nie überzeugen. Das gehört zur politischen DNA der Linken. Neu ist diesmal - eine Woche nach dem Wahldebakel bei der Hofburg-Wahl und vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung über den Kurs in der Flüchtlingspolitik -, dass der große Aufmarsch am Sonntag auf dem Wiener Rathausplatz Auskunft über die rote Machtbalance und das Verhältnis der Basis zur Parteispitze um Werner Faymann gibt.

Dabei wird es mit Sicherheit zu der einen oder anderen spontanen Protestaktion von einigen da unten gegen die da oben kommen; dass der traditionsreiche
1.-Mai-Aufmarsch allerdings zur offenen Abrechnung der Wiener "Indignados" - die Empörten, so nannten sich in Spanien die Kritiker des linken Establishments - mit der Parteispitze im Allgemeinen und deren Flüchtlingskurs im Besonderen ausartet, ist eher unwahrscheinlich (zumal es anschließend ja auch noch zum Feiern in den Prater geht). Immerhin ist hier von der Wiener SPÖ die Rede, einer Organisation also, die mit ihrem Selbstbewusstsein, ihrer straffen Struktur und Disziplin Vergleiche mit dem Vatikan nicht zu scheuen bräuchte. Und deren Chef, Bürgermeister Michael Häupl, hat sich gerade erst in ausgewählten Medien hinter Faymann gestellt. So gesehen käme ein großflächig organisierter Protest dem Tatbestand der Insubordination gegenüber dem Bürgermeister gleich - und das hätte dann womöglich wirklich Konsequenzen für die Betreffenden.

Apropos Wien: Die Debatte über die Zukunft Faymanns ist allenfalls jener kleinere Teil des Eisbergs, der für alle sichtbar aus dem Wasser ragt. Darunter ragt die aus SPÖ-Sicht sehr viel größere Frage über die künftige Ausrichtung der Wiener Sozialdemokratie in die Tiefe. Wie in der Bundeshauptstadt die roten Würfel fallen, das bestimmt mittelfristig das Los der SPÖ, und nicht, wer als deren verlängerter Arm den Bundesvorsitz führt. Wien ist für die Sozialdemokratie nämlich das, was Niederösterreich für die Volkspartei darstellt - nur doppelt so wichtig. Hier schlägt das organisatorische, kulturelle und vor allem ökonomische Herz der SPÖ, der Rest ist Beiwerk, nice to have, aber nicht wirklich politisch überlebensnotwendig.

Im Ringen um die Flüchtlingspolitik geht es also nicht nur um eine inhaltliche Weichenstellung, den Siegern winkt auch die Aussicht, demnächst das Erbe Häupls anzutreten. Eine Grundsatzfrage mit hohen Folgekosten quasi - das erklärt die Leidenschaft, mit der diese Debatte unter Parteifreunden ausgetragen wird.

Relativ betrachtet ist die SPÖ mit ihrem strategischen Dilemma in guter europäischer Gesellschaft: die Sozialdemokratie ist - bedrängt von Links- und Rechtspopulisten - von Nord nach Süd und von West nach Ost in einer schweren Krise. Dass es der Christdemokratie nur unwesentlich besser geht, ist da nur ein geringer Trost. Dabei keimte am Beginn der Finanzkrise vorübergehend Hoffnung auf, als sogar das bürgerliche Feuilleton sich angesichts eines außer Rand und Band geratenen globalen Finanzkapitalismus die Frage stellte, ob die Linke nicht doch recht hatte.

Doch das Hochgefühl, einmal mehr auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, wich schnell einer politischen Zerreißprobe über die richtigen Rezepte - Sparen, Investieren oder doch beides gleichzeitig? - bei der Bewältigung der Schuldenkrise. Schon da fiel nicht nur der SPÖ der interne Interessenausgleich schwer. In der Flüchtlingskrise scheint ein (durchaus möglicher) pragmatischer Kompromiss deshalb so schwer, weil die Frage moralisch hochaufgeladen ist.

Was nun Faymanns Zukunft angeht, so hängt diese nur teilweise an der Zahl der Unzufriedenen und Enttäuschten innerhalb der SPÖ. Mindestens so entscheidend wird sein, ob sich auch jemand findet, der den Job übernehmen will. Und die Aussicht auf Wahlsiege sollte er tunlichst auch mitbringen. Solche Politiker sind in ganz Europa selten geworden. Ab einem bestimmten Punkt gewinnen Führungsdebatten in einer Partei eine ganz eigene Dynamik. Faymann kennt das aus eigener Anschauung - allerdings bisher nur von der ÖVP.