Der neue ägyptische Präsident muss gesellschaftliche Gräben zuschütten und auf die Islamisten zugehen - sonst droht weiter Instabilität.
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Wie sich die Bilder doch gleichen! Zwei Jahre, nachdem Hosni Mubarak von einer wütenden Masse auf dem Tahrir-Platz aus dem Amt gejagt wurde, versammelten sich erneut hunderttausende Menschen an diesem symbolträchtigen Ort, um Mohammed Mursi zu vertreiben. General al-Sisi, der neue starke Mann, setzte einen Übergangspräsidenten ein, der nun rasch eine neue Verfassung ausarbeiten und Neuwahlen ansetzen soll. Alles zurück auf null, die Revolution beginnt von Neuem. Und wieder ist das Militär beim Übergang Schiedsrichter in eigener Sache.
"Es ist kein Militärputsch, sondern der Wille des Volkes", twitterte eine Aktivistin. Doch der Wille des Volkes war es auch, Mohammed Mursi ins Amt zu wählen. Der Kandidat der Muslimbrüder gewann die Präsidentschaftswahlen denkbar knapp, mit 51 Prozent der Stimmen. Das konnte nur durch eine massive Mobilisierung der säkularen Mitte gelingen. Die Muslimbruderschaft hätte niemals eine Basis von 51 Prozent gehabt. Die urbane Elite stimmte für Mursi, weil der Gegenkandidat Shafik aus dem alten System Mubarak kam. Mursi war von Anfang an ein Kompromisskandidat, nicht geliebt, aber doch gewählt - und somit legitim.
Die großen Hoffnungen, von der die Wahl begleitet war, sollten jedoch bald enttäuscht werden. Das erste Amtsjahr war, ökonomisch und politisch, ein Desaster. Das Wachstum ging zurück, die Arbeitslosigkeit stieg rasant, die Kriminalität detto, und die öffentliche Ordnung brach zusammen. Mursi riss immer mehr Macht an sich, er erließ Dekrete, welche die Gerichte und gesetzgebende Gewalt in die Schranken wies. Die Islamisten, so die Ansicht, hatten dem Volk die Revolution geraubt.
Man kann argumentieren, dass Mursi mit seinem Amtsmissbrauch seine Legitimation verwirkt habe. Doch das rechtfertigt noch lange keinen Putsch. Die Militärs haben einen demokratischen Akt torpediert, der erhebliche Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Landes weckt. Man muss sich im Lichte der jüngsten Ereignisse schon fragen, ob das Land überhaupt demokratiefähig ist. Was wurde nicht zu Lobeshymnen auf das Selbstbestimmungsrecht der Ägypter angehoben, die sich des Despoten entledigt hatten und nun selbst ihre Geschichte bestimmen könnten. Heute müssen die Menschen mit ansehen, wie eine Handvoll Generäle und Geistlicher um die Macht ringen.
Das Fundament des Staates steht auf tönernen Füßen. Die Stabilität der neuen Regierung wird davon abhängen, wie man die entmachteten Islamisten in den politischen Prozess mit einbezieht. Die Muslimbruderschaft macht rund 25 Prozent des Wählerpotenzials aus und ist daher eine entscheidende politische Kraft. Man kommt an den Muslimbrüdern in Ägypten nicht vorbei - man muss sie wohl oder übel mit einbeziehen. Die Integration der Islamisten kann die Regierung festigen - oder fragmentieren. In Afghanistan, wo nach dem Sturz der Taliban 2001 religiöse Führer kooptiert wurden, hat diese Praxis zu Problemen geführt. Ägyptens Übergangspräsident Mansur steht vor einer gewaltigen Herausforderung.