US-Wissenschafter schlägt "vertikale Landwirtschaft" vor. | Prototypen wären in Stuttgart und Abu Dhabi möglich. | St. Gallen. Reis und Weizen in Hochhäusern in der Stadt, Wälder anstelle von Reis- und Weizenfeldern - so könnte die Zukunft der Landwirtschaft aussehen. Damit soll sowohl die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung sichergestellt und der Klimawandel gestoppt werden.
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New York könnte bald zu einem Bauerndorf werden. Das jedenfalls hofft Dickson Despommier, Professor an der Mailman-Schule für Gesundheitswesen der Columbia Universität in New York. Der Mikrobiologe schlägt eine Revolution in der Landwirtschaft vor. Statt dass sie sich jetzt in der Fläche ausbreitet, soll sie in die Höhe wachsen, sagt der 1940 in New Orleans geborene Wissenschafter. "Warum sollen wir in Hochhäusern leben, aber nicht in Hochhäusern Landwirtschaft betreiben können?", fragte er an einem Vortrag an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil.
Despommier denkt an Gebäude, die wie übereinander gestapelte Gewächshäuser funktionieren. In den verschiedenen Stockwerken könnten je nach Bedarf verschiedene Pflanzen angebaut werden, von Erdbeeren über Gemüse hin zu Reis und Weizen. In solchen Gewächshäusern, die von der Außenwelt abgeschlossen wären, hätten die Landwirte eine fast völlige Kontrolle über den Kreislauf.
Wende im Klimawandel?
Wasser könnte wiederverwertet, Grünabfälle könnten zur Energiegewinnung herangezogen werden. Krankheiten und Unkraut würden ausgeschlossen, erwartet Despommier. Damit entfiele der Einsatz von Unkrautvertilgungsmitteln und von Pestiziden. Es würde also biologisch produziert. Des pommier erwartet eine mindestens doppelt so hohe Effizienz als in der herkömmlichen Landwirtschaft und eine entsprechend hohe Rentabilität.
Die wichtigste Wirkung dieser "vertikalen Landwirtschaft" sieht Despommier da, wo sie gar nicht stattfindet: auf den freiwerdenden Flächen draußen auf dem Land. Diese nicht mehr benötigten Flächen sollten systematisch mit Wald bepflanzt werden. Dieser binde Kohlendioxid und senke dessen Gehalt in der Luft. Es genüge, eine Fläche von der Größe der US-Bundesstaaten Indiana und Ohio - das wären 210.000 Quadratkilometer, also etwa zweieinhalbmal so groß wie Österreich - mit Wald zu bepflanzen, um eine Wende des Klimawandels einzuleiten.
Die einzige Form von Landwirtschaft, die noch draußen auf dem Land stattfinden müsse, sei die Viehzucht. Aber dafür gebe es genug Fläche.
Auch Despommier ist sich bewusst, dass seine Grundidee mehr Fragen aufwirft, als er derzeit beantworten kann. Deshalb will er möglichst bald Prototypen errichten. Ein erster Prototyp könnte beim Hauptquartier des Landwirtschaftlichen Forschungsdienstes des US-Landwirtschaftsministeriums errichtet werden. Außerdem hat Despommiers Firma eine Absichtserklärung mit Masdar unterzeichnet. Danach soll in der Ökostadt bei Abu Dhabi, die derzeit gebaut wird, ein solcher Landwirtschaftsblock errichtet werden.
Projekt "Skyfarm"
Ein Prototyp der Landwirtschaft der Zukunft könnte aber auch in Stuttgart stehen. Die Universitäten Hohenheim und Stuttgart haben beim Bundesforschungsministerium ein Projekt mit dem Namen "Skyfarm" eingereicht. Dabei soll getestet werden, ob Reis in einem geschlossenen Gewächshaus angebaut werden kann.
Dabei würde der Reis sich wie auf einem Fließband während der hundert Tage bis zur Erntereife durch das Gebäude bewegen, erläutert Joachim Sauerborn, geschäftsführender Direktor des Instituts für Pflanzenproduktion und Agrarökologie in den Tropen und den Subtropen an der Universität Hohenheim. "Wir wollen testen, ob das technisch möglich ist", sagt der Professor für Agrarökologie. Zu den wichtigen Fragen zähle etwa, ob die Wurzeln mit Nährstoffen und Wasser bestäubt werden könnten.
Denn eine vertikale Landwirtschaft müsste ohne Boden auskommen können, da die Gebäude ihn nicht tragen könnten. Es gehe aber auch um die für die Pflanzen wichtige Trennung zwischen ober- und unterirdisch in einem solchen Kontext, um die Wasserrückgewinnung und die Lichtqualität.
Die württembergischen Forscher haben bewusst Reis ausgewählt. "Wir wollten mit einer Subsistenzkultur beginnen", sagt Sauerborn. Außerdem belaste Reis von allen großen Kulturen die Umwelt am meisten. Ein Kilo Reis brauche für seine Produktion 500 bis 1000 Liter Wasser; ein Fünftel des weltweiten Ausstoßes des Treibhausgases Methan gehe auf die Reisproduktion zurück.
Bedarf sieht Sauerborn vor allem in trockenen Ländern. "Aber wir stehen erst ganz am Anfang."
Bei dem Projekt, das beim deutschen Bundesforschungsministerium eingereicht worden ist, gehe es um einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. Die Forschung selbst brauche noch fünf bis zehn Jahre. Wenn aber Berlin das Vorhaben nicht finanziere, dann würden andere Quellen gesucht, sagt Sauerborn. Der Abschied von der herkömmlichen Landwirtschaft jedenfalls scheint begonnen zu haben.