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Nahost-Expertin Karin Kneissl über den Libanon als Spiegel der Machtverhältnisse im Nahen Osten.
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"Wiener Zeitung": Sie sind gerade im Libanon, wo es, wie vielerorts in der Region, in letzter Zeit zu Anschlägen gegen Schiiten kommt. Wie beurteilen Sie die Lage?Karin Kneissl: Die politischen Spannungen sind hier besonders deutlich zu spüren. Dieses Gebiet ist ein Spiegel dessen, was sich im Rest des Nahen und Mittleren Ostens abspielt, nämlich ein ständiges Kräftemessen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, sprich Schiiten gegen Sunniten. Es gibt derzeit zwar vermehrt Anschläge, aber ich glaube, dass sämtliche Beteiligten keinerlei Interesse daran haben, dass die Gesamtsituation weiter eskaliert.
Welche Rolle spielt die vom Iran unterstützte Hisbollah?
Die Hisbollah muss sich politisch und auch vom Auftreten her neu positionieren. Den Einfluss Teherans sehen viele hier kritisch. Ich bin der Meinung, dass das Gewaltmonopol in staatlicher Hand sein sollte im Libanon. Das ist derzeit leider nicht der Fall.
Bleiben wir beim Iran: Welche Auswirkungen hat der Atomdeal mit dem Westen auf die Region?
Die Einigung stärkt die machtpolitische und geostrategische Position der Islamischen Republik in der Region des schiitischen Halbmondes. Teherans Führung war ja jetzt lange isoliert. Ich vermute, dass die UN-Vetomächte, vor allem aber Washington den Iran als geopolitisches Gegengewicht zu Saudi-Arabien aufbauen wollen.
Warum?
Weil es im Iran eine kontrollierte solide Staatlichkeit gibt, was in der Region rar geworden ist.
Besonders kritisch sehen die Einigung Israel und Saudi-Arabien.
Wenn man an die Enthüllungen von Wikileaks denkt, bin ich der Meinung, dass Saudi-Arabien noch viel stärker an einem Militärschlag gegen den Iran interessiert war als Israel. Riad fürchtet die Isolation. Die Saudis fürchten, an den Rand zurückgedrängt zu werden. Das ist auch der Grund, warum sie nicht sehr erfreut sind über den Atom-Deal mit Teheran.
Auch die einst starke Achse Riad-Washington bröckelt zunehmends.
Die saudisch-amerikanischen Beziehungen sind derzeit auf einer neuerlichen Talfahrt, aber durch die Staatenverflechtungen und wegen des Ölgeschäfts und der gemeinsamen Interessen werden sich die beiden wieder zusammenraufen. Riad fühlt auch, dass es in der US-Wahrnehmung längst nicht mehr die Bedeutung hat, die es vor 20 Jahren noch hatte. Hier war auch der 11. 9. 2001 ein erster historischer Tiefpunkt. Der Atomdeal ist ein weiterer. Durch das Erstarken des Iran verstärkt sich die Talfahrt und die Saudis müssen pragmatischer werden.
Wie sehen Sie Israels harsche Kritik an der neuen US-Iran-Politik?
Die Israelis sind im Schmolleck, weil sie in der Iran-Frage den Kürzeren gezogen haben. Aber sie können nicht lange beleidigt spielen, denn sonst isolieren sie sich. Außerdem sollte gerade Israel vom Atomdeal nicht überrascht sein. Es hat sich ja schon länger abgezeichnet, dass es zu einem Ergebnis kommen könnte. Das geht auf die Zeit vor der Wahl Hassan Rohanis als iranischer Präsident zurück. Denn schon unter seinem Vorgänger Mahmoud Ahmadinejad wurden viele der jetzigen Einigungspunkte vorbereitet.
Doch ausschlaggebend für die Einigung war die neue Tonart und die Bereitschaft Teherans, in einigen Punkten - wie der Reduktion der Urananreicherung - einzulenken.
Ja, das stimmt, aber vieles wurde schon vorher abgestimmt. Letztendlich haben Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif und Rohani mit ihrer Art und ihrem Zugang maßgeblich zur jüngsten Übergangslösung beigetragen. Wenn man seitens der iranischen Führung weiterhin diesen Weg einschlägt, dann kann ich mir durchaus auch vorstellen, dass es in absehbarer Zeit eine endgültige Einigung im Atomstreit mit dem Westen geben könnte.
(af) Der schiitische Halbmond wird von Teheran als politischer Hinterhof betrachtet. Die Bezeichnung geht darauf zurück, dass die Länder Bahrain, Iran, Irak und Libanon einen Halbmond bilden. Schon seit Jahren bemüht sich der Iran hier, seinen Einfluss als Regionalmacht zu stärken, um einen Gegenpol zu Saudi-Arabien zu bilden. Riad sieht sich als Sprachrohr der sunnitischen Mehrheit innerhalb der Muslime des Nahen Ostens. Der Libanon nimmt wegen seiner konfessionellen Vielfalt eine Sonderrolle ein: Da die vom Iran unterstützte Hisbollah dort politisch sehr aktiv ist, dient er für die Umsetzung der Ziele Teherans als Drehscheibe. Saudi-Arabien sucht als Gegengewicht eine Annäherung an Ägypten und die Türkei.
Karin Kneissl lehrt als unabhängige Autorin in Wien und Beirut und analysiert für mehrere Medien das Geschehen im Nahen Osten.