Analyse: Der saudische Thronfolger Mohammed bin Salman krempelt das wahhabitische Königreich radikal um und beendet die Konsenspolitik innerhalb des sunnitischen Landes.
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Riad/Wien. Mit dem radikalen politischen Paukenschlag vom Wochenende inklusive Verhaftungen, Entlassungen und Reisebeschränkungen von höchsten Würdenträgern und Politikern nimmt die Weichenstellung für die nächste Generation im saudischen Königshaus konkrete Konturen an. Der kranke König Salman hat auf Wunsch seines Sohnes und Nachfolgers, Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS), nicht nur zwei zentrale Minister in seinem Kabinett ausgetauscht, sondern auch einige seiner eigenen Kompetenzen abgegeben.
Die Idee dahinter: Der Kronprinz will die Kontrolle über den Sicherheitsapparat des Landes festigen. Hierfür wurde ein neuer "Anti-Korruptionsausschuss" geschaffen, den der 32-jährige Kronprinz leitet. Eine der ersten Amtshandlungen des Gremiums war die Festnahme von elf Prinzen, vier amtierenden Ministern, hohen Geistlichen und zehn Ex-Ministern. Der Ausschuss hat nicht nur weitreichende politische, sondern auch Personal-Kompetenzen.
Absolutistische Machtbefugnisse
MbS, der erst im Juni zum Kronprinzen ernannt wurde und bereits Verteidigungsminister ist, kann nun mit fast absolutistischen Machtbefugnissen noch mehr in das politische Tagesgeschehen eingreifen: Sein Komitee darf Ermittlungen einleiten, Haftbefehle erlassen sowie Reiseeinschränkungen und das Einfrieren von Vermögenswerten anordnen. Zudem lenkt er jetzt schon die innere Sicherheit des Königreiches und den Zugang zu seinem alten, kranken Vater.
Die politischen Umfärbungen sind auch ein Signal an die Königsfamilie, nämlich, dass die Ära von Salmans Vorgänger Abdullah endgültig vorüber ist. Ein Beispiel dazu: Neuer Minister der Nationalgarde wurde Khaled bin Ajjaf. Er ersetzt Prinz Miteb. Dieser war der Lieblingssohn des verstorbenen Königs Abdullah. Lange galt er als führender Anwärter auf den Thron. Prinz Miteb war der letzte Vertreter des Abdullah-Zweigs der königlichen Familie, der noch einen höheren Posten in Saudi-Arabiens Machtgefüge innehatte. Wirtschaftsminister Adel Fakieh, der ebenfalls als Relikt aus der Vergangenheit gesehen wird, wurde durch seinen Stellvertreter Mohammed al-Tuwaijri ersetzt.
Unter den festgenommenen Prinzen und Würdenträgern in Saudi-Arabien ist laut regierungsnahen Medien auch der Milliardär Al-Walid bin Talal. Der 62-jährige Saudi gilt als einer der einflussreichsten Geschäftsleute im Nahen Osten. Prinz Walid, ein Enkel des Staatsgründers Ibn Saudi, ist dem Magazin "Forbes" zufolge mit etwa 16 Milliarden Euro Vermögen der reichste Mann der arabischen Welt. Sein Geld hat er mit Immobilien gemacht. Ihm gehören über seine Kingdom Holding unter anderem zahlreiche Luxushotels wie das George V in Paris oder das Savoy in London. Auch am Kurznachrichtendienst Twitter ist er beteiligt.
Der neue Wind im Königreich überrascht nicht, gilt MbS doch als impulsiv, eigenwillig und unberechenbar und will sein Land aus der Abhängigkeit vom Ölsektor und vom radikalen Wahhabismus führen. Einfach wird dieses Vorhaben aber nicht. Saudi-Arabien wird vom Wahhabismus geprägt, einer besonders strengen und traditionellen Lesart des Islam. Das Herrscherhaus der al-Saud hatte bereits Mitte des 18. Jahrhunderts ein Bündnis mit wahhabitischen Religionsgelehrten geschlossen, das bis heute Bestand hat und den Gelehrten weitreichenden Einfluss auf Religions- und Lebenspraxis in Saudi-Arabien gewährt. Das Öl ist die Haupteinnahmequelle.
Anklingen lassen hat MbS das Vorhaben, sein Land grundlegend umzukrempeln, Ende Oktober. Da hatte er bei einem Wirtschaftsforum eine Abkehr seines Landes von ultrakonservativen Religionsprinzipien in Aussicht gestellt und auf die Agenda 2030 verwiesen, bei der es darum geht, Frauen mehr Rechte zu geben und das Land unabhängiger vom Öl zu machen.
MbS’ Pläne sind außerdem darauf ausgerichtet, keine der politischen Gruppierungen zu schonen, also weder ultrakonservative Geistliche noch die intellektuelle Elite.
Außenpolitisch will MbS auch viel ändern, vor allem aber den Gegensatz zum regionalen Erzfeind Iran forcieren. Erst am Samstag hatte Saudi-Arabien in der Nähe des internationalen Flughafens der Hauptstadt Riad eine Rakete abgefangen, die vom Jemen abgefeuert worden war. Es handelte sich um den ersten gezielten Raketenangriff der im Jemen kämpfenden Huthi-Rebellen auf die saudi-arabische Hauptstadt. Die Attacke steht als Speerspitze für das zunehmende Übergreifen des Konflikts im Jemen auf das Nachbarland Saudi-Arabien, das seit März 2015 eine Militärkoalition anführt, die im Jemen Luftangriffe auf die Rebellen fliegt. Die vom Iran unterstützten, schiitischen Huthi-Rebellen kämpfen dort seit Anfang 2015 gegen Truppen von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi. Nach UN-Angaben wurden in dem Konflikt bisher mehr als 8600 Menschen getötet.
Große Ankündigungen,wenig Taten
MbS’ Hasstiraden gegen die Huthis, den Iran, Syriens Machthaber Bashar al-Assad und gegen Katar haben das Königreich nicht weit gebracht. Mit einer konfliktgeladenen Außenpolitik allein wird MbS das Land nicht stabilisieren. Von den Reformen, die er sich für Saudi-Arabiens Wirtschaft und Gesellschaft vorstellt, ist bisher nicht viel durchgesickert. Kritiker sprechen von einer PR-Kampagne, um von den wahren Problemen des Landes - wie Menschenrechte und im Konkreten der Fall Badawi - abzulenken.
Davon, dass MbS ein paar Mächtige auffliegen lässt, mag er sich Zustimmung von unten erwarten, doch das Problem wurzelt woanders: Nach Schätzungen einer britischen Denkfabrik haben die Saudis seit den 60er Jahren für den Export extremistischen Gedankenguts 76 Milliarden Dollar in Form von Spenden an Organisationen und Moscheen sowie zur Verteilung von radikalen Schriften ausgegeben. Im Westen sind dadurch immer mehr Moscheen unter den Einfluss des Salafismus geraten, der als eine Vorstufe zum Dschihadismus angesehen wird.