Die Euphorie über den demokratischen Wandel im Nahen Osten ist in Washington einer Ernüchterung gewichen. Nach dem Jubel über die Parlamentswahl im Irak reißen die täglichen Berichte über Terror, Anschläge und Opfer nicht ab. Die Wahlen für das Palästinenserparlament sind ebenso verschoben worden wie der geplante Abzug Israels aus dem Gazastreifen. Vor diesem Hintergrund bricht US-Außenministerin Condoleezza Rice heute, Freitag, zu einer Reise in den Nahen Osten auf.
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Der Region drohe ein "Verlust an Schwungkraft", diagnostiziert die "Washington Post". Rice will bei ihren Gesprächen in Israel, Ägypten, Jordanien, Saudiarabien sowie mit der Palästinenserführung diesem Trend entgegenwirken. Ihre wichtigsten Themen: die Stabilisierung des Irak, der Abzug Israels aus dem Gazastreifen sowie Reformen und Demokratisierung im Nahen Osten.
Hoffnungsschimmer Gaza
Insbesondere die für August geplante Übergabe jüdischer Siedlungen im Gazastreifen an die Palästinenser muss aus Sicht der US-Regierung zu einer Erfolgsstory werden. "Wir glauben, dass es wichtig ist, dass beide Seiten größtmögliche Anstrengungen unternehmen, damit der Abzug ein Erfolg wird", sagt Außenamtssprecher Sean McCormack.
Das Kalkül der US-Regierung: Durch die Zusammenarbeit von Israelis und Palästinensern beim Abzug - vor allem in Sicherheitsfragen - wird neues Vertrauen zwischen beiden Seiten aufgebaut. Parallel dazu soll massive internationale Hilfe in den Gazastreifen fließen, damit sich die Lage für die Palästinenser spürbar verbessert. Damit soll Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kräftig Rückenwind für die Parlamentswahlen bekommen und radikal-islamischen Gruppen wie der Hamas-Bewegung Schneid und Wählerstimmen abkaufen.
Zu Fortschritten kam es im Vorfeld des Rice-Besuchs bei Sicherheitsgesprächen zwischen Israel und Ägypten. Demnach will die Regierung in Jerusalem Kairo jetzt doch die Stationierung von Truppen an der Grenze zum Gazastreifen gestatten - bis zu 750 Soldaten sollen es werden. Und Präsident Hosni Mubarak denkt auch schon über einen Besuch in Gaza nach dem Abzug im Herbst nach.
Zweiter Fall: Die Stabilisierung des Irak. Der designierte US-Botschafter in Bagdad, Zalmay Khalilzad, gab bei einer Senats-Anhörung schon unmissverständlich zu verstehen, was er von arabischen Verbündeten erwartet, die die US-Außenministerin jetzt besucht. Sie sollen Botschafter nach Bagdad schicken, dem Irak Schulden erlassen, in die irakische Wirtschaft investieren und ihren Einfluss auf die sunnitische Bevölkerungsminderheit im Irak geltend machen, damit das Verfassungsprojekt nicht scheitert.
Probleme mit Ägypten
Nachdem Bush im November 2003 seine "Zukunftsstrategie Freiheit" für den Nahen und Mittleren Osten vorstellte, sind die Verbreitung von Freiheit und Demokratie und die Einhaltung von Menschenrechten Grundpfeiler der US-Außenpolitik im Umgang mit arabischen Führern.
Der langjährige Verbündete Ägypten bekam das in letzter Zeit mehrfach zu spüren. Den anfangs gelobten Reformeifer von Mubarak sieht US-Präsident George W. Bush inzwischen durch eine kritischere Brille. Das von Kairo lang ersehnte Freihandelsabkommen hat die US-Regierung noch nicht unterzeichnet. Anfang März sagte Rice einen Besuch in Kairo verärgert ab. Der Grund: die Inhaftierung des liberalen ägyptischen Oppositionellen Ayman Nour. Nour ist zwar wieder auf freiem Fuß, aber die nächste Verstimmung folgte ausgerechnet beim Besuch der First Lady, Laura Bush. Die Ehefrau des US-Präsidenten lobte Ende Mai am Fuße der Pyramiden die Reform der Präsidentschaftswahl in Ägypten als "sehr mutigen Schritt" hin zur Demokratie. Nachdem nur Tage später Demonstranten in Kairo zusammengeschlagen wurden, ruderte Präsident Bush zurück: "Das ist nicht der Weg zu freien Wahlen".dpa