Der Bestellung von Verfassungsrichtern haftet stets ein parteipolitisches Moment an. Aus demokratietheoretischer Sicht ist es jedoch wichtig, dass die parteipolitischen Präferenzen des Wahlvolks mit jenen in den politischen Institutionen korrelieren.
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Heute, am 2. Februar, endet die Bewerbungsfrist für die vakanten Stellen am Verfassungsgerichtshof (VfGH). Der Auswahl und Bestellung von Verfassungsrichtern haftet stets ein parteipolitisches Moment an, indem sie die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse widerspiegelt.
Entsprechend meldet die FPÖ zu Recht Anspruch auf die Besetzung von Richterposten an. Aus demokratietheoretischer Sicht ist es wichtig, dass die parteipolitischen Präferenzen des Wahlvolks mit jenen in den politischen Institutionen einigermaßen korrelieren. Denn der VfGH ist ein auch-politisches Organ. Gerade weil er oft Fragen zu entscheiden hat, die über den Einzelfall hinaus eine breite gesellschaftliche Tragweite entwickeln und noch dazu (neuen) parlamentarischen Mehrheiten weltanschaulich entgegenstehen können (wie zuletzt etwa hinsichtlich der "Ehe für alle"), die Erkenntnisfindung jedoch wenig transparent abläuft, drängen die Regierungsparteien darauf, "ihren Mann" (seltener "ihre Frau") dort unterzubringen.
Das Stimmenverhältniswird nicht offengelegt
Während ähnliche Gerichte in anderen Ländern abweichende Meinungen einzelner Richter publizieren, öffentlich beraten oder gar öffentlich abstimmen, liegt die Entscheidungsfindung am VfGH weitestgehend hinter einem Schleier; nicht einmal das Stimmenverhältnis wird offengelegt. Er spricht mit einer Stimme, um die Aura des Amtes und die Fiktion der Eindeutigkeit von Rechtsnormen aufrechtzuerhalten. Bekennt sich doch einmal ein Richter öffentlich zu seinen Erwägungen wie im Falle Johannes Schnizers beim Erkenntnis zur Wiederholung der Bundespräsidentschaftswahl 2016, kommt dies einem Skandal gleich.
Der am VfGH praktizierte Anschein von Einstimmigkeit entspricht zwar der oberflächlichen österreichischen Konsenskultur, bedingt aber Spekulationen über angebliche Wertentscheidungen einzelner Richter und verschiebt damit das politische Moment des VfGH ins Nebulöse. Folglich kommt der Richterbestellung ein hoher parteipolitischer Wert zu.
Deshalb wurden immer wieder Anläufe zur Objektivierung genommen: Die Grünen hielten schon Anfang der 1990er Jahre auf freiwilliger Basis Anhörungen für VfGH-Kandidaten ab. National- und Bundesrat führten schließlich Ende der 1990er Jahre Hearings für die von ihnen zu nominierenden Kandidaten ein; die Kandidaten der Bundesregierung müssen sich - trotz einiger Bemühungen seitens ÖVP und FPÖ Anfang der 2000er Jahre, dies zu ändern - bis heute keiner Anhörung stellen.
Der Österreich-Konvent hatte zudem diskutiert, das weitgehende Vorschlagsrecht der Bundesregierung zugunsten des Parlamentes (der Bundesversammlung) einzuschränken und/oder Deutschland als Vorbild heranzuziehen, wo durch das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit im Wahlverfahren für Bundesverfassungsrichter die Stellung der parlamentarischen Minderheit gestärkt ist. Diese Idee fand jedoch keine Unterstützung.
Zwar ist seit der B-VG-Novelle 1994 der Einfluss des Bundespräsidenten zurückgedrängt, der nun nicht mehr das präsidiale Letztverfügungsrecht hat, beliebig aus einem Dreiervorschlag zu wählen, doch eine Lösung, die demokratischen Erwägungen mehr als bisher entsprechen würde, ist nicht in Sicht.
Alle Parlamentsparteien hatten Anspruch auf Richterposten
Dabei wäre es lohnend - zumal zum Jubiläum der Republik -, auf die Anfangsjahre des VfGH zurückzublicken: Ursprünglich war der VfGH als ein allein vom Parlament zu besetzendes Organ konzipiert. Zudem hatte eine Parteienvereinbarung den Verteilungsschlüssel der proporzmäßigen Bestellung der Richter festgelegt. Alle im Parlament vertretenen Parteien hatten dadurch gemäß ihrer Mandatsgröße Anspruch auf Richterposten. Fortan waren vier Mitglieder von den Christlichsozialen zu stellen, drei von den Sozialdemokraten, ein Großdeutscher sowie vier Neutrale, auf die sich die Parteien gemeinsam zu einigen hatten. Mithilfe dieses bis zur B-VG-Novelle 1929 gültigen Systems konnte sich jede im Parlament vertretene Partei auch am VfGH wiederfinden. Hans Kelsen hielt dies gerade aus Überlegungen zum Schutz der parlamentarischen Minderheit für den demokratischsten Weg.
Demnach wäre der FPÖ und den Grünen schon lange, mittlerweile zum Beispiel auch den Neos, eine Nominierung zugestanden. Stattdessen liegt die Richterauswahl de facto nur bei den Regierungsparteien, weil auch in National- und Bundesrat zur Bestellung die einfache Mehrheit ausreicht. Anstatt dem VfGH als politischem Organ der Republik gerecht zu werden und alle gewählten Parteien fortlaufend einzubinden sowie mittels Publikation abweichender Urteilsmeinungen Transparenz herzustellen, werden Neubesetzungen als regierungspolitisches "Umfärben" verstanden. Dabei könnte vor allem Transparenz dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, ob es überhaupt systematische Blockbildungen von Richtern einer bestimmten parteipolitischen Richtung gibt.
Gastkommentar
Tamara
Ehs
ist Politikwissenschafterin und forscht zu (sozialen Fragen von) Demokratie und Rechtsstaat. Als Vorsitzende der IG Demokratie hält sie Workshops und Vorträge zur partizipativen Demokratie und lehrt an der Universität Wien im Lehramtsstudium politische Bildung. Sie ist Trägerin des Wissenschaftspreises des österreichischen Parlaments. privat