Beim Wiederaufbau der Wirtschaft darf die EU nicht in alte Muster verfallen.
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Der EU-Kommissionsvorschlag für den Wiederaufbaufonds gleicht der Quadratur des Kreises: Die Kommission hat die Vorschläge Angela Merkels und Emmanuel Macrons, jene der "Geizigen Vier" (Österreich, Niederlande, Dänemark, Schweden) sowie die Befürchtungen der mittel- und osteuropäischen Länder, dass die Vorschläge auf ihre Kosten gehen könnten, auf einen Nenner gebracht, indem sie alle addiert hat. Damit versucht sie, die Zustimmung der 27 zu erreichen.
Effektiv werden höchstwahrscheinlich nur die Zuschüsse von 500 Milliarden Euro werden, da bereits jetzt hoch verschuldete Länder keine weiteren Kredite mehr aufnehmen, geschweige denn bedienen, werden können.
Für alle, die an einem Weiterbestehen und einer Stärkung der EU interessiert sind, geht der Plan - wie auch immer das Endergebnis aussieht - in die richtige Richtung einer vor allem für die Eurozone so notwendigen "Fiskalunion", bei der Solidarität und die Erkenntnis, dass das Wohl aller Einzelstaaten eng mit dem der anderen verbunden ist, als existenznotwendig anerkannt werden. Ist Österreich nicht am Schicksal seines zweit- oder drittgrößten Handelspartners (Italien) interessiert (Exporte, Importe von Vor- und Endprodukten, Touristen), schrumpft es auf seinen eigenen kleinen Markt. Die Ausgabe einer EU-Anleihe ist auch ein Signal an ausländische Kapitalmärkte, die schon länger nach einem weiteren "sicheren Hafen" für ihre Finanzanlagen (zusätzlich zum US-Dollar) suchen.
Schade ist, dass der Versuch, alle zu bedienen, im künftigen EU-Budget keine wirkliche Umstrukturierung der Ausgabenstruktur zulässt: Weiterhin fließt der weitaus größte Teil des EU-Budgets in den Agrarbereich, der neue Fonds soll sogar zusätzlich 15 Milliarden Euro für die Stärkung des Fonds für ländliche Entwicklung erhalten. Schade ist auch, dass der Plan eine grundlegende Änderung der bisher primär auf Budgetkonsolidierung statt auf langfristig tragfähiges Wachstum aufgebauten EU-Wirtschaftspolitik vermissen lässt.
Zu zaghaft ist die EU-Kommission mit Vorschlägen, wie diese neuen Mittel, die neue Mittelaufbringung (Anleihe) und die Einpassung ins EU-Budget gekoppelt sein sollten mit neuen politischen Strukturen der EU, konkret mit sichtbaren weiteren Integrationsschritten. Auch der versprochene stärkere Außenauftritt der EU bleibt vage, vor allem ist er nicht an die Voraussetzung geknüpft, dass sie ihre gewünschte Rolle im geopolitischen Kräftespiel mit den USA, China und Russland nur dann spielen kann, wenn sie geeint auftritt, den Plan weitgehend durchbringt - und der Wiederaufbauplan mit den Vorhaben der einzelnen Mitgliedstaaten gut koordiniert wird.
Es ist gut und richtig, dass die EU-Kommission ihren mittelfristigen Vorschlag mit dem notwendigen Konjunkturpaket verbindet - und nicht zuerst die "alte" Wirtschaft wiederherstellt und sich danach (wann?) an die Grünung und Digitalisierung macht. Das wäre teuer, würde viel Zeit und Geld verschwenden. Allerdings wollen die Vertreter der "alten" Wirtschaft mit massiver Lobbyingkraft genau diesen falschen Weg gehen. Hier müssen starke Gegenkräfte, die auch viel stärker die EU-Bürger in die Beratungen und Entscheidungen, neben den nationalen Parlamenten, einbeziehen, zum Tragen kommen.
Die Zeit drängt: Einerseits muss der Wiederaufbau rasch in Gang kommen, da die Schäden durch den Lockdown ganz gravierend sind und sich mit jedem Monat verfestigen. Erst im Juli ist der nächste EU-Gipfel geplant, der ein Mammutprogramm (auch Brexit und Budgetrahmen 2021 bis 2027) zu absolvieren hat. Nach der Beschlussfassung müssen das EU-Parlament und die 27 Einzelparlamente die Beschlüsse genehmigen. Natürlich werden im Vorfeld Einzel- und Gruppengespräche stattfinden, dennoch ist der Zeitplan äußerst eng. Jedoch: Die Krise wartet nicht. Hier müssen sich alle bewegen und vor allem in Sinne Europas entscheiden, statt ihre wie immer legitimen Einzelinteressen zu pushen.