Die vom sozialistischen Ex-Premier Michel Rocard entfachte Debatte über eine mögliche Spaltung der Sozialistischen Partei (PS) schlägt hohe Wellen. Nachdem Rocard vergangene Woche die Gründung einer "neuen Partei" in Aussicht gestellt hatte, betonte nun auch der ehemalige Gesundheitsminister Bernard Kouchner, dass eine "Trennung der PS" besser als eine "Fassaden-Aussöhnung" sei.
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Michel Rocard hatte gegenüber "Le Nouvel Observateur" die Möglichkeit einer Spaltung der PS in Aussicht gestellt, falls nach dem Parteitag von Le Mans im kommenden November immer noch die Trennung zwischen Befürwortern und Gegnern der EU-Verfassung bestehen bleibt. Sollten die Verfassungsgegner den Parteitag gewinnen, "so müssen die Sozialdemokraten der PS mit den Leitungspersönlichkeiten der Internationale und der Europäischen Sozialistischen Partei sprechen und sehen, wie man sich organisiert. Man wird vielleicht die Gründung einer neuen Partei ins Auge fassen müssen", meinte Rocard. "Ich befürworte die von Michel Rocard vorgebrachte Idee, den Pseudo-Marxisten und ihren verrunzelten Utopien zu begegnen", betonte Kouchner nun gegenüber "Le Figaro". Es sei besser, die Unstimmigkeiten zuzugeben, als "über eine falsche Synthese zu lügen", meinte der Ex-Minister, der sich gleichzeitig für eine "innovative, realistische und mutige Linke" aussprach.
Die französischen Sozialisten sind zerstritten, seit sich im Wahlkampf für das Referendum zur europäischen Verfassung ein Teil der leitenden Funktionäre gegen das Grundgesetz ausgesprochen hat, während die Parteileitung dafür war. In einer Urabstimmung Ende 2004 hatte sich eine Mehrheit von knapp 60 Prozent der Parteibasis für die Verfassung ausgesprochen, beim Referendum vom 29. Mai stimmten die sozialistischen Wähler allerdings mehrheitlich dagegen.
Kommendes Wochenende organisiert die Sozialistische Partei im westfranzösischen La Rochelle eine "Sommeruniversität", die zur Vorbereitung des Parteitags von Le Mans dienen soll. Die Parteitagung, die unter dem Motto "die Rechte bekämpfen, die Linke vorschlagen" steht, sollte eigentlich zur Aussöhnung zwischen den von Ex-Premier Laurent Fabius angeführten EU-Verfassungsgegnern und der von Francois Hollande angeführten Parteileitung dienen. Die Zwistigkeiten hatten sich nach dem Referendum noch weiter verstärkt, als Fabius wegen mangelnder Parteidisziplin von der PS-Leitung ausgeschlossen wurde.
Von den Kritiken betroffen ist vor allem Hollande selbst, der beim Parteitag für ein viertes Mandat an der PS-Spitze antritt. Dem ersten Sekretär der Partei werden der Nein-Sieg beim Verfassungsreferendum und die Unfähigkeit angelastet, die Einheit in der Partei zu bewahren. Hollande war 1997 vom sozialistischen Premier Lionel Jospin an die Parteispitze gebracht worden. Auch die PS-Erfolge bei den Europa- und Regionalwahlen von 2004 brachten allerdings nicht in Vergessenheit, dass der PS-Kandidat bei der Präsidentenwahl von 2002, Lionel Jospin, zum ersten Mal in der Parteigeschichte im ersten Durchgang aus dem Rennen geschlagen wurde - noch dazu vom Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen (Front National). "Es ist unmöglich, mit Francois Hollande, der uns 2002 und 2005 in zwei Desaster geführt hat, etwas aufzubauen", kritisierte der Abgeordnete Arnaud Montebourg, Gründer des Parteiflügels "Nouveau Parti Socialiste" (NPS).
Damit scheint sich Hollande auch seine Chancen als PS-Kandidat für die Präsidentenwahl von 2007 vertan zu haben. Senator Jean-Luc Melenchon, der ebenfalls gegen die EU-Verfassung Wahlkampf geführt hatte, brachte diese Überzeugung klar vor. "Für mich gibt es nur noch zwei mögliche Präsidentschaftskandidaten, nämlich Laurent Fabius und Ex-Finanzminister Dominique Strauss Kahn", sagte Melenchon. Ein weiterer Verfassungsgegner, der ehemalige PS-Chef Henri Emmanuelli, hat die Parteispaltung bereits teilweise vollzogen, indem er am Dienstag ankündigte, dass er und seine Anhänger des linken PS-Flügels eine eigene Sommertagung "für eine sozialistische Alternative" organisieren. Diese findet vom 9. bis zum 11. September in Perigeux (Dordogne) statt.