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Rien ne va plus an den Zapfsäulen

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Protest gegen die geplante Änderung des Arbeitsrechts: Regierung will im Kräftemessen mit den Gewerkschaft hart bleiben.


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Paris. "Kein Treibstoff mehr" - das Schild weist Autofahrer zwar darauf hin, dass jede Hoffnung vergeblich ist. Dennoch kommen ständig neue Wagen angefahren. Vor anderen Tankstellen, bei denen das Benzin noch fließt, bilden sich kilometerlange Schlangen. Die Menschen verzweifeln vor leeren Zapfsäulen, nur eine Frau zeigt gute Laune: Sie ist mit dem Fahrrad unterwegs. "Dank der Gewerkschaften werde ich sportlich", sagt sie ins Mikrofon einer Journalistin, die für eine Reportage über die Benzinnot in Frankreich recherchiert.

Und die macht die Menschen immer nervöser. Fallen seit Wochen bereits regelmäßig Züge, Flüge und das Radioprogramm aus, weil ein Teil der französischen Gewerkschaften mit Protest die geplanten Änderungen des Arbeitsrechts verhindern will, so stören nun auch Blockaden von Raffinerien und Öllagern den Alltag. Jede fünfte der 11.500 Tankstellen im Land hatte am Donnerstag keinen Sprit mehr. Mitverantwortlich dafür seien auch die Autofahrer, meint Francis Duseux, Präsident der französischen Vereinigung der Öl- und Brennstoffindustrien Ufip: "Sie haben ihre Tanks überstürzt gefüllt und drei- bis fünfmal mehr gezapft als zu Normalzeiten. Aber da sie das Benzin nicht sofort verbrauchen, geht dieses Phänomen schon wieder zurück." Zeitweise wurde Treibstoff rationiert, und die Regierung griff sogar die strategischen Notreserven an, die sie eigentlich für internationale Krisen zurückhält. Die aktuelle Krise ist zwar national - wird aber immer gewaltiger.

AKW drosseln Produktion

Am Donnerstag gingen landesweit Hunderttausende zum achten Protesttag auf die Straße. Im nordfranzösischen Le Havre besetzten Aktivisten eine Brücke und zündeten Reifen an, um Öleinfuhren zu blockieren. Regelmäßig kam es in den vergangenen Wochen zu brutalen Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Demonstranten und der Polizei. Zuletzt drosselten auch noch mehrere der 19 Atomkraftwerke die Stromproduktion.

Wenige Wochen vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft ist Frankreich blockiert. Ausgerechnet ab Anfang Juni drohen zudem Mitarbeiter der französischen Staatsbahn SNCF, in den Ausstand zu treten. Allerdings wehren sie sich gegen neue Arbeitsbedingungen im Zuge der Öffnung des Bahnverkehrs und nicht gegen die Änderung des Arbeitsrechts, die unter anderem Abweichungen von der 35-Stunden-Woche, geringere Ausgleichszahlungen für Überstunden und eine Erleichterung betriebsbedingter Kündigungen vorsieht. Eigentlich zielt das Gesetz darauf ab, Unternehmen mehr Flexibilität zu gewähren, damit sie neue Stellen schaffen. Vor allem unter 25-Jährige, von denen jeder Vierte arbeitslos ist, sollen davon profitieren - doch gerade viele junge Leute kritisieren die Pläne als "Ausverkauf sozialer Rechte". Seit Wochen treffen sich jeden Abend Anhänger der Bewegung "Nuit debout" ("Nachts wach" oder "Aufrecht durch die Nacht") im ganzen Land zu Protestaktionen.

Aufstand statt Dialog

Teilweise unterstützt werden sie von der mit knapp 700.000 Mitgliedern größten Gewerkschaft CGT, einem verlängerten Arm der kommunistischen Partei. Dieser wiederum wirft die gemäßigtere CFDT vor, frühzeitig aus den Verhandlungen ausgestiegen zu sein. Da nur ein vergleichsweise geringer Anteil französischer Arbeitnehmer in Gewerkschaften organisiert ist, gelten diese als besonders radikal, um ihr Absinken in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern - anstatt Dialogbereitschaft proben sie regelmäßig den Aufstand.

Doch auch der Linksflügel der Sozialisten verweigerte der eigenen Regierung die Zustimmung, die die Gesetzesänderung daraufhin ohne das Votum der Nationalversammlung beschloss. Derzeit wird sie vom Senat geprüft, wo die konservativen Republikaner eine Mehrheit haben. Sie unterstützten ursprünglich das Liberalisierungsgesetz, kritisieren nun aber dessen Verwässerung durch die zahlreichen Zugeständnisse, die die Regierung inzwischen gemacht hat. Da es sich um das letzte Projekt vor den Präsidentschaftswahlen 2017 handelt, will François Hollande nicht zurückweichen: "Mir ist es lieber, dass man von mir das Bild eines Präsidenten bewahrt, der Reformen umgesetzt hat, wenn auch unpopuläre, als eines Präsidenten, der nichts getan hat." Noch immer dümpeln seine Umfragewerte auf einem Dauertief. Präsident Hollande braucht dringend Erfolge. Zwar hellten sich zuletzt die Arbeitsmarktzahlen auf, doch einer Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & Young zufolge ging die Zahl der ausländischen Investitionen in Frankreich 2015 um zwei Prozent zurück.

Premierminister Manuel Valls erklärte am Donnerstag, es seien zwar noch "Verbesserungen" des Textes möglich, aber die "Grundphilosophie" werde nicht geändert: Die Menschen dürften nicht in Geiselhaft genommen und die französische Wirtschaft durch ein paar wenige erstickt werden: "Es ist nicht die Gewerkschaft CGT, die die Gesetze macht." Eine deutliche Mehrheit der Franzosen spricht sich zwar gegen die Arbeitsmarktreform aus; zugleich wollen 58 Prozent ein Ende der Proteste und Blockaden. Schließlich können nicht alle aufs Fahrrad umsteigen.

"Nuit debout"