Deutschland und andere große EU-Staaten scheinen viel zu langsam verstehen zu wollen, dass eine Währungsunion ohne vertiefte finanzpolitische Integration nicht funktioniert.
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Zwei neue Sätze im Artikel 136 des EU-Vertrages gelten als Voraussetzung dafür, dass ab 2013 der „Europäische Stabilitäts-Mechanismus” (ESM) eingeführt wird, ein rudimentärer europäischer Währungsfonds. Dessen Struktur wurde von den Finanzministern der Eurozone vergangene Woche abgesegnet. Damit ist der ESM nicht unter Dach und Fach. Die Änderung des Art. 136 bedarf einer Zweidrittelmehrheit im österreichischen Nationalrat. Die ist nur mit den Grünen zu haben, denn die europaskeptischen Parteien FPÖ und BZÖ haben schon abgewunken. Die Grünen wollen die Gunst der Stunde nutzen, um die Vertiefung der europäischen Integration voranzutreiben - und nicht wie FPÖ und BZÖ zu hintertreiben -, für die Vision einer demokratischen, transparenten und finanzpolitisch handlungsfähigen EU.
Der europapolitische Stillstand ist nicht auf Österreich beschränkt. Die Kanzler und Minister in und außerhalb der Eurozone beweisen seit anderthalb Jahren, seit die Griechenland-Krise akut wurde, mit Zaudern und Zögern mangelnde Führungs- und Entschlusskraft. Wenn aber jemand eine richtungweisende Idee hat, so wie gegen Ende letzten Jahres der luxemburgische Premier Juncker und der italienische Finanzminister Tremonti mit dem Vorschlag zur Einführung sogenannter Eurobonds, dann sind die anderen Unionspolitiker schnell in ihrem Urteil: Nein, so was wollen sie nicht.
Über ein halbes Jahr hat es gedauert, bis das Europäische Parlament das Steuer herumreißen konnte und die Kommission mit einer diesmal hoffentlich ernsthaften Prüfung beauftragte. Die Grünen sehen in diesem neuen Instrument limitierter, aber gemeinschaftlich begebener Eurobonds einen wichtigen Ansatz, aus einer gemeinsamen Währung auch einen gemeinsamen Anleihemarkt zu entwickeln, der dem amerikanischen an Größe und Gewicht nahekommt. Deshalb verknüpfen sie die ESM-Zustimmung mit der Einführung von Eurobonds.
Seit anderthalb Jahren plädieren die Grünen auch für klar strukturierte Ent- und Umschuldungsverfahren für insolvente Staaten, mit einer Beteiligung privater Gläubiger. Die äußerst vagen Formulierungen in § 12 des ESM-Vertrages genügen nicht. Die EU-Finanzminister deuteten bei ihrem jüngsten Gipfel schon Bewegung an: Eventuell soll die EFSF (European Financial Stability Facility) Anleihen auf dem Sekundärmarkt aufkaufen dürfen. Abgesehen davon, dass man das schon seit zwölf Monaten hätte prüfen sollen, ist dafür eine Änderung der EFSF-Statuten notwendig. Das gilt dann auch für den EFSF-Nachfolger ESM. Last but not least: die Einführung einer Finanztransaktionssteuer für das EU-Budget. Die Riesen der Union, von Deutschland abwärts, scheinen viel zu langsam verstehen zu wollen, dass eine Währungsunion ohne deutlich vertiefte finanzpolitische Integration nicht funktioniert. Die Zwerge aus Wien wollen ihnen auf die Sprünge helfen.
Alexander Van der Bellen ist Nationalratsabgeordneter der Grünen. Jeden Dienstag lesen Sie an dieser Stelle den Kommentar eines Vertreters einer Parlamentspartei.
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