Kandidatenstatus noch heuer möglich. | EU pocht auf Reformen, bessere Kosovo-Beziehungen. | Brüssel. Mit der Verhaftung des serbischen Ex-Generals Ratko Mladic ist Serbien einen großen Schritt auf die EU zugegangen. Darüber sind sich in Brüssel alle einig. Ein Berichtsentwurf des UN-Chefanklägers Serge Brammertz, der Serbien harsch kritisiert hätte, ist damit hinfällig. Der Status als Kandidatenland für den EU-Beitritt könnte noch heuer verliehen werden. Das sei für Serbien in greifbare Nähe gerückt, meinte Österreichs Außenminister Michael Spindelegger.
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Freilich gab es unter den EU-Experten auch ein wenig Kopfschütteln: Wohl nicht rein zufällig sei die plötzliche Festnahme mit dem Besuch von EU-Außenministerin Catherine Ashton in Belgrad zusammengefallen. Unmittelbar davor war der vorläufige Inhalt von Brammertz bisher schärfstem Report bekannt geworden, in dem er den Serben ziemlich unverblümt mangelnde Zusammenarbeit vorgeworfen hatte. Und auf einmal ging die Verhaftung Mladics ganz schnell. Doch dass er offenbar seit Jahren in einem kleinen Dorf in der Vojvodina gelebt hatte, müsste die serbische Regierung seit langem gewusst haben, kursierte in Brüssel als hartnäckiges Gerücht.
Am Ende überwog aber die Erleichterung über die Festnahme: "Es interessiert mich nicht, an welchem Tag es geschehen ist, sondern dass es geschehen ist", sagte Erweiterungskommissar Stefan Füle. "Das ist ein großer Tag für uns alle." Die Regierung in Belgrad habe mit der Festnahme Mladics ihre Glaubwürdigkeit bewiesen. "Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan und eine große Hürde auf Serbiens Weg in die EU entfernt." Präsident Boris Tadic habe "der Stabilität und der Versöhnung" in der Region einen großen Dienst erwiesen. Tadic hatte zuvor die Verhaftung bestätigt. "Das nimmt eine schwere Last von Serbien und schließt ein unglückliches Kapitel unserer Geschichte", erklärte er.
Verhandlungen in Sicht
Auch Brammertz räumte ein, dass Serbien "eine internationale Verpflichtung erfüllt" habe. Sein Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat wird am 6. Juni daher ganz anders ausfallen als bisher befürchtet. Von einem "überzeugenden Beweis" der serbischen Bemühungen zur Zusammenarbeit mit dem UN-Tribunal und neuem Schwung für die EU-Annäherung redete EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek. Der SPÖ-Europaabgeordnete Hannes Swoboda forderte die rasche Verleihung des Kandidatenstatus für Serbien.
Doch ganz so einfach ist es nicht: "Jetzt müssen die Reformen intensiviert werden, damit wir später im Jahr eine positive Empfehlung abgeben können", sagte Füle. So könnte die Kommission bei ihrem Fortschrittsbericht im Oktober zu dem Schluss kommen, dass der Kandidatenstatus angebracht sei. Die Mitgliedstaaten hätten bis Jahresende komfortabel Zeit, diese Erkenntnis formell umzusetzen und womöglich sogar die Aufnahme von Beitrittsgesprächen auf den Weg zu bringen.
Offen seien aber noch drei große Baustellen, sagte ein Experte. Erstens sei nach Mladic immer noch ein weiterer Angeklagter - Goran Hadzic - auf der Flucht. Zweitens müssten politische Reformen dringend vorangetrieben werden. Dazu gehörten die Etablierung einer unabhängigeren Justiz und die Überarbeitung der Parteienfinanzierung. Und drittens müssten die Beziehungen zum Kosovo normalisiert werden. Der Dialog habe schon ganz gute Fortschritte gemacht. Der jüngste Boykott des Mittel- und Südosteuropagipfels mit US-Präsident Barack Obama in Warschau heute, Freitag, sei dagegen wenig hilfreich. Weil die kosovarische Präsidentin Atifete Jahjaga eingeladen ist, sagte Tadic ab.
Eher kritisch gab sich auch der niederländische Außenminister Mark Rutte. Serbien habe eine von vielen Bedingungen erfüllt, das bedeute aber noch keinen automatischen Beitritt. Die Niederlande hatten schon bisher unter Verweis auf den flüchtigen Mladic die EU-Annäherung Serbiens bei jeder Gelegenheit gebremst. Das mag auch am Trauma Srebrenica liegen. Niederländische UNO-Blauhelme haben dem dort begangenen Massaker 1995 tatenlos zusehen müssen.