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Riesiger Markt für recyceltes Papier

Von Richard E. Schneider

Wissen

Großer Schritt zu Umweltfreundlichkeit im Kraftstoffbereich. | Wettbewerbsfähige Herstellungspreise. | Tübingen. Auf der am Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt stellte Ende September das Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) sein neues synthetisches Benzin aus holzhaltigen Sammel-Abfällen vor. Bei der Herstellung der neuen Bio-Kraftstoffe kommen keine ernährungsrelevanten Agrarprodukte zum Einsatz. Synthetische Kraftstoffe sind überdies reiner, umweltfreundlicher und leistungsstärker als sonstige Bio-Kraftstoffe oder gar Rohöl-Erzeugnisse.


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Land- und Forstwirtschaft bergen ebenso wie die Papierindustrie noch ungeahnte Ressourcen an Rohstoffen: Aus Bruch- und Schnittholz, Baumzweigen und -rinden, Ästen, Tannenreisern, aber auch aus recyceltem Papier und Pappe oder aus trockenem Stroh und Heu macht das Forschungszentrum Karlsruhe seit wenigen Monaten in einer neuen Pilotanlage synthetische Kraftstoffe, Benzin oder Diesel. Bis zum Jahr 2015, so die FZK-Wissenschaftler nach einer Studie der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) beim Bundeslandwirtschaftsministerium, könnten bereits 15 % des gesamten Kraftstoffverbrauchs in Deutschland aus holzhaltigen Abfallprodukten stammen.

Das neue "Bioliq"-Verfahren (biomass to liquid) ist eine Eigenentwicklung der Karlsruher Wissenschafter, ähnlich dem bereits 1924 entwickelten Fischer-Tropsch-Verfahren, das Synthesegas in flüssigen Kraftstoff umwandelt, allerdings in mehreren Schritten. Hier wird aus den energiearmen Grundstoffen Stroh, Papier und Pappe zunächst mittels Schnell-Pyrolyse ein energiereicher Ausgangsstoff gewonnen. Dieser wird in ein synthetisches Kohlenstoff-Gas umgesetzt, aus dem flüssige Kraftstoffe oder für die chemische Industrie wichtige andere Grundmaterialien gewonnen werden.

Flächendeckendes

System entwickelt

Bei der industriellen Nutzbarmachung von "Bioliq" half der Anlagenbauer Lurgi AG, Frankfurt/Main, der bereits über praktische Erfahrungen mit anderen Biokraftstoff-Anlagen verfügt. Lurgi AG wurde kürzlich von der Mutter GEA (4,1 Milliarden Euro Jahresumsatz), Bochum, für 200 Millionen Euro an den französischen Gasriesen Air Liquide SA, Paris, verkauft.

Wesentliche Probleme bei den Wirtschaftlichkeitsberechungen für "Bioliq" stellten ein ökonomisch sinnvolles Einsammeln der flächenmäßig weit verstreuten Grundmaterialien sowie die Organisation der verschiedenen Transformationsverfahren dar. Es gelang den Karlsruher Wissenschaftlern, ein flächendeckendes System zu entwickeln, das jedem Lieferanten einen maximalen Anfahrtsweg von 25 km garantiert. Weiter werden die Rohstoffe dezentral vor Ort in einem sogenannten Schnell-Pyrolyse-Verfahren bei 500°C und hohen Drücken in einem Mischreaktor zu flüssigen oder festen Pyrolyse-Produkten verarbeitet und danach mit einer Suspension vermischt. Dieses Gemisch namens "BioSynCrude" stellt das neue Rohöl dar und kann rasch per Bahn ins Benzin-Herstellungszentrum am FZK transportiert werden.

In Karlsruhe wurde vor wenigen Monaten die erste Stufe des Pilotprojekts eingeweiht. Den 5 MW starken Vergaser lieferte Future Energy, Freiberg/Sachsen, seit kurzem eine Tochter der Siemens AG. Am früheren DDR-Komplex "Schwarze Pumpe", Spreetal, baut Siemens ein 1000 MW-Kohle-Kraftwerk, das ab 2009 Elektrizität und synthetische Kraftstoffe produzieren soll. Im Karlsruher Pilotprojekt werden vorläufig pro Stunde 500 kg Biomasse aus holzhaltigen Abfällen zu synthetischen Kraftstoffen oder Ausgangsstoffen für die chemische Industrie umgesetzt. Hier wird das angelieferte "BioSynCrude," das neue Rohöl, weiter verarbeitet. Beim "Bioliq"-Vergasungsprozess entstehen Temperaturen bis 1200°C und Drücke bis 80 bar, berichten die Wissenschaftler. Aus diesem Synthesegas wird der Kraftstoff hergestellt.

Herstellung kostet pro Liter nicht ganz 1 Euro

Die gesamten Herstellungskosten des Kraftstoffs liegen gegenwärtig bei knapp unter 1 Euro pro Liter, ob Benzin oder Diesel. Knapp unter 50 Cent werden für den Einkauf der Grundstoffe wie Stroh, recyceltes Papier und Pappe oder die Einsammlung von Restholz in Wald und Flur ausgegeben. Mit weiteren 50 Cent schlagen die verschiedenen Fabrikationsstufen der Transformierung in Kraftstoff zu Buche. Selbstverständlich liegen diesen Preisangaben Produktionslinien im industriellen Maßstab zugrunde. Vom Betrieb des Pilotprojekts erhoffen sich die Karlsruher Wissenschafter weitere Hinweise zu einer kosteneffizienten Strukturierung der Bioliq-Produktionsabläufe. Da nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz bis 2008 in Deutschland keine Steuern auf Biokraftstoffe erhoben werden, wäre die Markteinführung des Synthese-Benzins bereits heute machbar.

"Blue-Sky-Award" der Unido für "Bioliq"

Überdies sind nach Mitteilung der FZK-Wissenschaftler ihre Bioliq-Kraftstoffe reiner, umweltfreundlicher und leistungsfähiger als bisher übliche Bio-Kraftstoffe, zumal solche auf Rohöl-Basis. Sie verursachen keine weiteren CO2-Emissionen und wirken nicht preistreibend auf die Agrarprodukte für Menschen- oder Tiernahrungsketten. Im Jahr 2006 erhielt "Bioliq" den "Blue-Sky-Award" der UN-Organisation Unido. Für die großen Automobil-Hersteller, die bereits vor der IAA ihr Interesse an den neuen umweltfreundlichen Synthese-Kraftstoffen signalisierten, öffnet sich hier ein neuer Weg zu mehr Umweltfreundlichkeit.