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Tätervideo kündigt in Al Jazeera neue Anschläge an. | Trauerfeier im Regents Park. | London. Vor der King's Cross Station hatten sich um fünf vor 12 Uhr dutzende Menschen eingefunden, um die landesweite Gedenkminute für die 52 Opfer der Bombenanschläge vor einem Jahr zu begehen. Durch diverse Lautsprecher in öffentlichen Gebäuden sowie in Radio und Fernsehen wurde der Beginn der "commemorative silence" bekannt gegeben - und dann war es, als ob jemand die Pause-Taste gedrückt hätte. Alle Autofahrer auf der stark befahrenen Euston Road hielten ihre Fahrzeuge an und stellten den Motor ab, alle Passanten blieben für zwei Minuten stehen. Kein Handyläuten, kein Kindergeschrei, kein Autohupen störte das Gedenken an jene, die in den ersten Selbstmordanschlägen auf europäischem Boden ihr Leben gelassen hatten. Um 12.02 Uhr wurde die übliche Londoner Geräuschkulisse wieder eingeschaltet und alle Passanten setzten ihre Wege fort.
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Nur wenig deutete gestern im Londoner Alltag, dass vor einem Jahr vier Attentäter Sprengsätze in öffentlichen Verkehrsmitteln detonieren ließen. Es gab die morgendliche U-Bahn-Überfüllung, das Bus-Gedränge und den üblichen Stau auf den Zufahrtsstraßen.
Kaum jemand hatte sich davon abbringen lassen, mit der "tube" in die Arbeit zu fahren. Nur Mary, die in der Verkehrsüberwachung nahe der King's Cross Station arbeitet, gesteht gegenüber der "Wiener Zeitung", dass sie in der Früh den Bus zur Arbeit genommen hat. "Es war mir doch etwas mulmig. Aber jetzt geht es mir gut", sagt sie als sie auf die U-Bahn wartet. "Es ist wahrscheinlich, dass es wieder Anschläge geben wird, aber dieses Wissen ist Teil des Lebens in London", sagt Paul, der ebenfalls täglich zur King's Cross Station pendelt.
Für Angehörige oder Freunde der Opfer ist es weitaus schwerer wieder in den Alltag zurückzufinden. Während der Kranzniederlegung am Tavistock Square, wo vor einem Jahr der Bus explodierte, brach eine Frau weinend zusammen. "Ich war selbst nicht wirklich betroffen", erzählt Alan, der von seinem Bürofenster den zerstörten Bus sehen konnte, "aber wenn ich jetzt zurückdenke, dann kommen mir wieder die Tränen."
Dennoch waren sich alle Überlebende und Angehörige der Opfer einig, dass man sich nicht durch das Al-Kaida Video oder irgendwelche anderen Drohungen davon abbringen lassen würde, der Verstorbenen zu gedenken.
Am Vorabend des Jahrestags der Anschläge hatte der arabische TV-Sender Al Jazeera ein Video von einem der Täter des 7. Juli 2005 ausgestrahlt, in dem dieser angekündigt hatte, die Londoner Anschläge seien nur der Beginn einer Serie von Angriffen, die immer stärker würden, bis sich die ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan und dem Irak zurückziehen.
Und so fanden sich am Abend Tausende zu einer Trauerfeier im Regent's Park ein. Auf Reden von Politikern wurde verzichtet, allein die Kulturministerin Tessa Jowell verlas die Namen der Getöteten. Die königliche Familie wurde gebeten, nicht an den Feierlichkeiten teilzunehmen, um diese nicht in einen "VIP-Zirkus" zu verwandeln. Zu Klängen des London Gospel Choirs vollendeten die geladenen Gäste ein Blumenmosaik, das im Park in den nächsten Tagen an die Anschläge vom 7. Juli 2005 erinnern wird. Weitaus länger werden diesen Zweck die Gedenktafeln an den vier Orten, an denen die Bomben explodierten erfüllen, die gestern enthüllt wurden.