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Ökonom Li setzt auf Urbanisierung und Konsum als Wachstumsimpulse.
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Peking. Das Drehbuch für den 12. Nationalen Volkskongress mag zwar bis ins letzte Detail ausgefeilt sein, besonders abwechslungsreich ist es jedoch nicht. Der zweite Wahlgang am Freitag gleicht dem des Vortages bis aufs Haar, nur die handelnden Personen sind diesmal andere: "Ich kündige nun an, dass Genosse Li Keqiang zum Ministerpräsidenten der Volksrepublik China gewählt wurde", spricht die Vize-Vorsitzende des Kongresses Yan Junqi. Der Angesprochene steht auf, verbeugt sich vor den 2949 Abgeordneten und schüttelt seinem Vorgänger Wen Jiabao sowie dem am Vortag zum Staatspräsidenten gewählten Xi Jinping die Hand.
"Ehrlich, wenn das die Wiederholung von gestern gewesen wäre, ich hätte es nicht einmal bemerkt", zischt ein vorlauter Korrespondent der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua seinen Kollegen zu, während das Wahlergebnis verkündet wird: Mit drei Gegenstimmen und sechs Enthaltungen erhält der neue Premier 99,69 Prozent der Stimmen, etwas weniger als der am Vortag mit 99,86 Prozent zum Staatschef gewählte Xi.
Ernsthaft gefährdet war die Wahl Lis freilich nicht, da die grundsätzlichen Entscheidungen bereits beim Parteitag im November des letzten Jahres getroffen wurden. Das in der Großen Halle des Volkes in Peking tagende nicht frei gewählte Parlament hat die Aufgabe, diese Entscheidungen nachträglich zu legitimieren.
Deutlich spannender dürfte es werden, wie der 57-jährige Li Keqiang sein Amt anlegen wird, denn in der jüngeren Vergangenheit war der Premierminister eher das Gesicht der Regierung, das hin und wieder bei öffentlichen Auftritten und Naturkatastrophen der Bevölkerung Mut zusprach. Als oberste Führungskraft des Landes hat der Staatspräsident politisch mehr Gewicht, während der Premier das Kabinett anführt und verantwortlich ist für die Umsetzung der Politik und die Überwachung der Wirtschaft.
Als Doktor der Wirtschaftswissenschaften wird es vor allem Lis Aufgabe sein, Präsident Xi das Alltagsgeschäft abzunehmen und sich dabei in erster Linie um die Wirtschaft zu kümmern. Hier steht die Regierung vor der Herausforderung, die inzwischen langsamer wachsende zweitgrößte Wirtschaftsnation zu einem neuen Wachstumsmodell zu führen. Während Exporte und Investitionen die chinesische Wirtschaft immer weniger antreiben, setzt der neue Premier auf die Urbanisierung des Milliardenvolkes und den heimischen Konsum als künftige Wachstumsimpulse.
Konservativer Gegenwind aus dem Politbüro
Es ist bekannt, dass Li mehr Markt und mehr Liberalisierungen im Finanzsektor möchte. So hatte er in der Vergangenheit mehrfach angekündigt, ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell anzustreben und den Einfluss der Regierung auf soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten einzuschränken. Der zweifellos bestausgebildete Premier, den die Volksrepublik je hatte, sieht sich selbst als moderne und progressive Führungspersönlichkeit, die andere Menschen motivieren will, ihre Sorgen und Ängste offen auszusprechen.
Doch schon sein Vorgänger "Opa Wen" Jiabao sprach sich in Interviews mit ausländischen Medien häufig für politische und wirtschaftliche Reformen aus - und scheiterte. Es bleibt abzuwarten, wie sich der mitunter etwas oberlehrerhaft wirkende Li im Ständigen Ausschuss des Politbüros, dem eigentlichen Entscheidungsgremium Chinas, durchsetzen wird. Denn dort sitzen mit dem Absolventen der Kim Il Sung Universität in Nordkorea Zhang Dejiang, dem ehemaligen Leiter der Propagandaabteilung Liu Yunshan und dem auf staatlich gesteuerte Investitionen pochenden Zhang Gaoli politische Schwergewichte, die für einen deutlich konservativeren Kurs stehen.
Auch in der Außenpolitik warten nicht nur wegen des Konflikts mit Japan um die Senkaku-Diaoyu-Inseln schwierige Aufgaben. So hört man hinter vorgehaltener Hand immer wieder, dass ein Friedensvertrag mit Taiwan auf der Regierungsagenda stehen könnte. Einen ähnlichen Vorstoß machte Taiwans Präsident Ma Ying-jeou, um den seit 1946 währenden Konflikt mit den chinesischen Kommunisten zu beenden und den rechtlichen Status Taiwans zu klären. An diesem Punkt kommen auch die Beziehungen zu den USA ins Spiel.
Heikle Debatte mit den USA über Cyberangriffe
Der neu gewählte Staatspräsident Xi Jinping sprach am Donnerstag zwar nicht zu seinem Volk, dafür jedoch mit US-Präsident Barack Obama, der ihm per Telefon zur Wahl gratulierte. Nach Angaben des Weißen Hauses habe Obama "die Bedrohung des nordkoreanischen Atom- und Raketenprogramms für die Vereinigten Staaten, seine Verbündeten und die Region hervorgehoben".
In dem Gespräch ging es zudem um das Thema Cyberangriffe. Noch am Vortag hatte der US-Präsident der chinesischen Regierung in einem Interview die Unterstützung von Cyberattacken gegen Unternehmen und Behörden in den Vereinigten Staaten vorgeworfen. Im Telefonat mit Xi sprach er lediglich von "gemeinsamen Herausforderungen" durch die Gefahren aus dem Internet. Der neu gewählte Präsident erwiderte generös, dass beide Staaten "enorme gemeinsame Interessen, aber auch Meinungsverschiedenheiten haben". Und verabschiedete sich laut Xinhua mit den blumigen Worten, er wolle den Pazifik in einen "Ozean von Frieden und Zusammenarbeit" verwandeln.