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Ringen um die Wahlrechtsreform

Von Christoph Rella

Politik

Initiative wirbt für Persönlichkeitswahl. | Neisser ortet Krise der Repräsentation. | Auch Wien feilt an neuem Wahlrecht. | Wien. "Wir haben in Österreich eine Krise der politischen Repräsentation, welche die Bürger ausschaltet und zum Legitimationslieferanten degradiert." Mit diesen drastischen Worten hat der Mitbegründer der "Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform", Heinrich Neisser, am Montag während eines Symposiums im Parlament das derzeit geltende politische System im Land kritisiert.


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Anstatt die verbleibende Zeit bis zu den nächsten Wahlen 2012 für Reformen zu nutzen, seien die beiden Regierungsparteien bisher lediglich damit beschäftigt, "sich auf Kosten des anderen zu profilieren", meinte der frühere Nationalratspräsident - und nannte zugleich auch das Grundübel der "Reformverweigerung": Das geltende Parteienwahlrecht.

Wie die "Wiener Zeitung" in ihrer Wochenendausgabe berichtete, will Neisser nun das herkömmliche Parteilistensystem durch ein neues Persönlichkeits-Wahlrecht ersetzen. "Das neue Modell ist ein Zwischenschritt", erklärte er in dem Interview und fügte hinzu: "Die Forderung nach einem Mehrheitssystem ist aus heutiger Sicht politisch einfach noch nicht konsensfähig."

Kandidat statt Partei

Laut dem vom Grazer Politikwissenschafter Klaus Poier ausgearbeiteten Wahlmodell soll der Wähler am Stimmzettel nicht mehr eine konkrete Partei, sondern einen (auch unabhängigen) Kandidaten ankreuzen dürfen. "Auf dieser Basis wird dann nach dHondt berechnet, wie viele Mandate den Parteien zustehen", erklärte Poier. Geht es nach ihm, so sollen auf diese Weise insgesamt 100 Parlamentssitze an jene Kandidaten gehen, die in ihrem jeweiligen Regional-Wahlkreis - derzeit gibt es 43 solche Wahlkreise - die meisten Stimmen erhalten haben. Bisher gilt: Wer in den Nationalrat einziehen will, muss es an die Spitze der Liste einer Wahl werbenden Partei schaffen. Gewinnt die Partei, ist dem Kandidaten der Sitz sicher.

Was aber nicht bedeutet, dass das Listensystem mit dem neuen System gänzlich ausgedient hätte: Denn um die Parteien nicht zu vergrämen, sollen laut den Initiatoren die übrigen 83 Nationalratsmandate wie bisher über Landes- und Bundeslisten aufgeteilt werden. Ebenso wenig gerüttelt wird an der Vier-Prozent-Hürde oder der Zahl der Wahlkreise. "Das ist nicht nötig", sagte Neisser. Veränderungen in diesem Bereich würden den Abgeordneten die Annahme des Reformvorschlags nur noch zusätzlich erschweren, meinte er.

Parteien sind skeptisch

Was sich allerdings als weiterer Stolperstein erweisen könnte, ist die Idee der Persönlichkeits-Wahlrechtler, die Zahl der Direktmandate pro Wahlkreis nicht mehr wie bisher von der Bevölkerungszahl, sondern von der Zahl der abgegebenen Stimmen abhängig zu machen.

Während die Befürworter darin und auch in den übrigen genannten Maßnahmen eine Erhöhung der Wahlbeteiligung und der Demokratiequalität erkennen, üben die etablierten Parteien verhaltene Kritik. "Ich glaube, dass dieses Persönlichkeits-Wahlrecht an der Realität der Menschen vorbeigeht", erklärte der Direktor des FPÖ-Parlamentsklubs, Norbert Nemeth am Montag im Hohen Haus. Seiner Meinung nach sei für den Wähler nicht so sehr die Person des Wahlkreiskandidaten, sondern jene des jeweiligen Spitzen- oder Kanzlerkandidaten auf Bundesebene von Interesse. Der Idee, das Persönlichkeitselement zu stärken, kann die Verfassungssprecherin der Grünen, Daniela Musiol, einiges abgewinnen. Zweifel ortete sie allein in der Frage, wie folglich die von ihrer Partei verordnete Frauenquote erhalten werden könne.

Koalition verhandelt

Zeitgleich wie im Parlament wurde auch im Wiener Rathaus über eine Wahlrechtsreform diskutiert. Wie die "Wiener Zeitung" erfuhr, wird die SPÖ der Forderung des Koalitionspartners (Grüne), jedem Wähler nur eine Stimme zu geben ("one man, one vote"), eine klare Absage erteilen. Fix behandelt werden sollen dafür in den nächsten Wochen Reformen beim Wahlrecht für Drittstaats- oder EU-Bürger. Überlegt wird auch eine Direktwahl von Wiener Regierungsmitgliedern.