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Ringen um EU-Wirtschaft

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Bei der Bildung der künftigen EU-Kommission geht es um den ökonomischen Kurs der Union.


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Brüssel. Langsam fügen sich die Puzzleteile ineinander. Die Besetzung von Spitzenposten in der EU stellt sich als komplexes Gebilde dar, in dem neben den Interessen unterschiedlicher Länder ebenso jene der größten Parteienfamilien berücksichtigt werden müssen. Eine reine Männerpartie darf es außerdem auch nicht werden. Und inhaltliche Überlegungen sind ebenso wenig außer Acht zu lassen.

Seit Wochen laufen zwischen den Ländern und der EU-Kommission Debatten über die Zuteilung von Jobs und Aufgabenbereichen. Die Mitgliedstaaten haben ihre Kandidaten für die Brüsseler Behörde nominiert; an deren designiertem Präsidenten liegt es nun, die Zusammensetzung des Organs zu fixieren, das künftige EU-Gesetze vorschlägt. Jean-Claude Juncker und sein Kabinett sollen dann am 1. November ihre Arbeit aufnehmen - wenn das EU-Parlament dem zustimmt.

Die Nominierung Donald Tusks zum EU-Ratspräsidenten und Federica Mogherinis zur Außenbeauftragten der Union ermöglichte es Juncker, die Konstruktion seiner Behörde fortzusetzen. Denn die Italienerin, die am Wochenende bei einem Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs zur Hohen Repräsentantin für die Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt wurde, wird gleichzeitig Vizepräsidentin der Kommission. Die Hoffnung Roms auf einen gewichtigen Posten hat sich damit erfüllt. Ebenso erhält mit dem polnischen Premierminister ein Osteuropäer einen Topjob.

Doch auch aus Berlin, Paris oder Madrid werden Wünsche an Juncker gerichtet. Den Ländern ist daran gelegen, dass ihre Vertreter einen wichtigen Bereich in der Behörde übernehmen. "Um alle zufriedenzustellen, müsste es ein Dutzend wirtschaftliche Ressorts geben", kommentierte ein EU-Diplomat. Beim Österreicher Johannes Hahn wird über die Übernahme eines der folgenden Ressorts spekuliert: Verkehr, Wissenschaft, Umwelt oder Landwirtschaft. Das heftigste Ringen gibt es um die Verteilung jener Kommissionsstellen, die für Wirtschaft, Industrie, Wettbewerb zuständig sind. Und das bedeutet nicht zuletzt ein Tauziehen um die künftige ökonomische Ausrichtung der Europäischen Union.

So sähe es Deutschland beispielsweise nicht gern, wenn Frankreich den Kurs vorgeben würde. Paris bereitet nämlich die Einhaltung der Haushaltsdisziplin, auf die Berlin immer wieder pocht, große Schwierigkeiten. Mit den notwendigen Strukturreformen plagt es sich ähnlich wie Rom. Auch andere Staaten ächzen unter den Sparprogrammen, die sich die EU in den letzten Jahren auferlegt hat. Von Arbeitslosigkeit ist jeder zehnte EU-Bürger betroffen. So bleibt für die Politiker die alte Frage aktuell: "Was wollen wir für die Wirtschaft der EU, und wie wollen wir dorthin?"

Dabei sind sich die Länder weiterhin uneins. Dass der Weg aber eine völlige Abkehr vom Sparkurs bringt, glauben Experten nicht. "Das Krisenbewusstsein insgesamt ist wieder gestiegen", stellt der Leiter der Denkfabrik Bruegel, Guntram Wolff, fest. Als Gründe dafür führt er neben den sich verschlechternden Konjunkturdaten, die politische Krise in Frankreich sowie den Konflikt in der Ukraine an. Denn auch die europäische Wirtschaft fürchte Belastungen durch mögliche weitere Sanktionen gegen Russland. Das Vertrauen der Investoren sinke.

Juncker stärker als Barroso

Nötig wäre laut Wolff ein europäisches Investitionspaket, das etwa Infrastruktur-Projekte ankurbeln würde. So könnte beispielsweise das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank aufgestockt werden. Ernsthafte Strukturreformen in Frankreich und Italien müssten folgen. Dafür würde Paris mehr Zeit bei der Senkung des Budgetdefizits gelassen.

Allzu optimistisch zeigt sich der Ökonom allerdings nicht: "Es wird ein paar Reformen geben, und der Konsolidierungskurs wird sich etwas verlangsamen - doch das alles ist zu wenig." Ebenso wenig ortet er ernsthafte Maßnahmen zur Schaffung von Jobs: "In den kommenden ein, zwei Jahren werden die Arbeitslosenraten nicht signifikant sinken." Wie weit die künftige Kommission dabei den Kurs vorgeben wird, ist noch offen. Zunächst scheint aber die Position des künftigen Präsidenten stärker zu sein als jene des scheidenden, Jose Manuel Barroso. Juncker war nämlich der Spitzenkandidat der Volkspartei bei der EU-Wahl vor gut drei Monaten - und gleichzeitig der Bewerber für das Amt des Kommissionspräsidenten. Mit der Kür des Christdemokraten fügten sich die Länder dem Wunsch des Abgeordnetenhauses. Bis dahin hatten sie sich untereinander ausgemacht, wer die Leitung der Behörde übernimmt.

Wie sehr Juncker jedoch dadurch an Einfluss gewinnt, ist ebenfalls unklar. Vieles hängt nämlich vom Vorsitzenden der Eurogruppe ab, in der auch ein Wechsel bevorsteht. Sollte daraus eine eigenständige, permanente Stelle werden, wäre das wiederum eher eine Stärkung der Mitgliedstaaten.

Außerdem ist es noch immer den Finanzministerien der Länder vorbehalten, die Haushaltsentwürfe auszuarbeiten. "Die Kommission kann Empfehlungen abgeben, aber ihre Möglichkeiten, Druck auszuüben, sind begrenzt", sagt Wolff.