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Zittern um weitere Ratifizierung in Tschechien. | Noch keine endgültigen Lösungen erwartet. | Brüssel. In der belgischen Hauptstadt war gestern, Mittwoch, ersichtlich, was die Menschen beschäftigt: Hunderte Fernfahrer, Taxilenker und Bauern protestierten gegen die hohen Spritpreise und ihre daher sinkenden Einkommen. Schon am Morgen fuhren Mannschaftsbusse und Wasserwerfer der Brüsseler Polizei auf; rund 800 Sicherheitskräfte waren im Einsatz. Zu präsent waren noch die Straßenschlachten mit französischen und italienischen Fischern vor zwei Wochen, die sich den Diesel für ihre Boote kaum mehr leisten können.
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Die rapide steigenden Ölpreise sollten auch das Hauptthema beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs heute, Donnerstag und morgen, Freitag, sein. Doch das Nein der Iren zum Reformvertrag von Lissabon Ende letzter Woche überschattete die Vorarbeiten für den EU-Gipfel auf dramatische Weise. In der ersten Panik sprachen deutsche und französische Politiker von einem möglichen Ausschluss Irlands aus der weiteren europäischen Integration. Und Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker dachte laut über Kerneuropa nach.
Von der ersten Aufregung übrig blieb die Besinnung auf Solidarität mit Irland und die Demonstration, dass die EU durch die Ablehnung des Lissabonner Vertrags durch die Iren nicht gelähmt sei. Sowohl Juncker als auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier bekannten sich Anfang dieser Woche zu einer gemeinsamen Lösungssuche mit Irland und betonten die Wichtigkeit der Geschlossenheit aller 27 EU-Länder - eine Linie, die auch die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik von Beginn an vertreten hatte.
Gericht in Prag prüft
"Der Prozess der Ratifizierung wird fortgesetzt", betonte der slowenische Premier und amtierende EU-Vorsitzende Janez Jansa vor dem Gipfeltreffen. Eine endgültige Entscheidung über die Lösung des Problems werde es aber noch nicht geben. Erst nach der Sommerpause würden die Iren ihre Ideen für das weitere Vorgehen präsentieren, meinte Sloweniens Außenminister Dimitrij Rupel.
Vereinbart werden sollte, dass die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen im Oktober konkrete Beschlüsse fassen. Diese werden davon abhängig sein, wie weit die Ratifizierung des Lissabonner Vertrags dann gediehen ist.
Sorgen macht vor allem Tschechien, wo gerade der Verfassungsgerichtshof die Vereinbarkeit des Vertrags mit dem nationalen Recht prüft. Premier Mirek Topolanek erklärte bereits, er rechne nicht mit dem Inkrafttreten des Reformwerks bis zu den Europawahlen im Sommer 2009. Er übernimmt Anfang kommenden Jahres den EU-Vorsitz. Etwas widerspenstig hätten sich zuletzt trotz bisher positiver Signale auch die Polen gegeben, wo die Unterschrift von Präsident Lech Kaczynski zur vollständigen Ratifizierung aussteht. Der britische Premier Gordon Brown wollte den Vertrag dagegen am Mittwoch endgültig vom Oberhaus absegnen lassen.
Jansa schloss indes nicht aus, dass es im Endeffekt Zugeständnisse an Irland geben könnte, einige Bestimmungen des Vertrags nicht umsetzen zu müssen. Das sei allerdings nur "eine Möglichkeit unter vielen". Zuerst müsste im Detail analysiert werden, wie es zum Scheitern des Vertrags in der Abstimmung kam. Dazu werde beim Gipfel auch der irische Premier David Cowen ausführlich Stellung nehmen, hieß es aus Diplomatenkreisen.
Keine Neuverhandlung
Vor allem "die Illusion, dass Irland allenfalls einen besseren Deal" mit der EU erzielen könne, habe laut Umfragen mitgespielt, meinte Plassnik. Und dass der Vertrag neu verhandelt werde, schloss Europastaatssekretär Jean-Pierre Jouyet vom kommenden EU-Vorsitzland Frankreich bereits aus.
Noch will zwar niemand öffentlich darüber reden, aber hinter den Kulissen hofft man auf eine zweite Abstimmung in Irland. Im Idealfall könnten Erklärungen, die den Sorgen der Nein-Wähler Rechnung tragen, das Blatt wenden. Etwa Versprechen, dass die irische Steuerhoheit oder das Verbot der Abtreibung nicht angetastet werden - auch wenn diese bereits bisher durch den Lissabonner Vertrag in keiner Weise in Gefahr waren. Britische Diplomaten warnen allerdings vor einer wirklich ernsten Krise, sollten die Iren noch einmal ablehnen.
Inzwischen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs Handlungsfähigkeit demonstrieren: Das Alltagsgeschäft in der erweiterten Union nach den Nizza-Regeln sei zwar mühsam, funktioniere aber tadellos, hieß es. "Europa ist nicht zum Stillstand gekommen", sagte Jouyet. Und Jansa betonte, es sei kein einziger Punkt von der Tagesordnung des EU-Gipfels gestrichen worden: Die hohen Öl- und Nahrungsmittelpreise sowie mögliche Gegenmaßnahmen stünden ganz oben auf der Agenda.