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Ringen um "Wackelkandidaten"

Von Bernard Estrade und Reinolf Reis

Politik

New York - "Vereint" sind die Nationen im UNO-Sicherheitsrat derzeit nur dem Namen nach: Die 15 Mitglieder sind entweder bereits in zwei Lager gespalten oder zwischen diesen hin- und hergerissen. Kaum einer zweifelt im UNO-Hauptquartier in New York daran, dass die US-Regierung zum Angriff auf Bagdad entschlossen ist. "Die Frage ist nicht, ob es Krieg geben wird, sondern ob die USA ihn mit oder ohne UNO-Resolution führen werden", sagt ein Diplomat.


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Vor allem die Franzosen treten als Bremser auf. Längst hat der Machtpoker bei den Präsidenten George W. Bush und Jacques Chirac persönlichen Ehrgeiz entfacht.

Bush weiß vor allem Großbritannien, Spanien und Bulgarien als Alliierte fest auf seiner Seite. Chirac zählt auf die Deutschen, die derzeit zwar den Vorsitz innehaben, aber wegen ihrer Totalverweigerung jedes Irak-Kriegs diplomatisch eher im Abseits stehen. Zuletzt schlossen sich die Vetomächte Russland und China dem deutsch-französischen Vorschlag an, die UNO-Inspektoren zunächst einmal mit mehr Personal und mehr Technik auszustatten - sehr zum Ärger der Amerikaner, die ein anhaltendes Katz- und Maus-Spiel Saddam Husseins befürchten.

Mit Syrien gelten damit fünf Ratsmitglieder als dem Lager "Frieden" zugehörig und vier dem Block "Krieg". Um die "Wackelkandidaten" hat nun ein heftiges Tauziehen eingesetzt. Zehn der 15 Sitze im Sicherheitsrat sind nicht auf Dauer vergeben; dort sind oft Nebendarsteller der Weltpolitik installiert. Bei den Staats- und Regierungschefs vor allem dieser Länder laufen in diesen Tagen die Telefone heiß. Bush und Chirac versuchen persönlich, Gesprächspartner wie Mexikos Präsidenten Vicente Fox, den Chilenen Ricardo Lagos oder Kameruns Staatschef Baul Biya auf Linie zu bringen. Schließlich steht viel auf dem Spiel: Die US-Öffentlichkeit will Umfragen zufolge zwar mehrheitlich einen Irak-Krieg, aber mit dem Segen der UNO. Die Rückendeckung der internationalen Gemeinschaft versucht Bush auf Biegen und Brechen einzufordern. Doch Chirac stellt sich quer und je länger das Tauziehen andauert, desto stärker scheint sein Selbstbewusstsein zu wachsen.

Genau wie die USA erhofft er sich Rückenwind vom Zwischenbericht der UNO-Chefwaffeninspektoren Hans Blix und Mohammed el Baradei. Er dürfte nicht enttäuscht werden: "Einige werden Argumente heraushören wollen, um den Krieg auszulösen, die anderen Gründe, um die Inspektionen fortzusetzen. Und ich habe den Verdacht, dass es in der Vorlage Elemente für jeden geben wird", sagt ein hochrangiges Mitglied des Sicherheitsrates. Wenn im Lande Saddam Husseins nicht gerade ein Versteck von biologischen oder chemischen Waffen oder ein Raketenlager gefunden werde und die Inspektoren eine unmittelbare Bedrohung festellten, bleibe alles "Auslegungssache". Die Briten versenkten jedenfalls ihren Text für eine zweite UNO-Resolution zum Angriff auf den Irak bereits in der Schublade - die notwendige Mehrheit von neun Stimmen gilt derzeit als kaum erreichbar. Frankreich will sich alle Optionen offen halten, aber zunächst weiter nach einer friedlichen Lösung suchen. "Es gibt noch eine Alternative zum Krieg" heißt es in der in Paris vorgelegten deutsch-französisch-russischen Erklärung schließlich. Ganz offenbar setzen die Franzosen darauf, mit einer Sperrminorität einen UNO-Kriegsbeschluss zu blockieren. Durch die jüngste Initiative ermutigt, könnten sie sogar ein dreifaches Veto erreichen - nämlich das von Frankreich, Russland und China. Ein derartiges Risiko dürfte Bush wohl nicht eingehen. Die nicht im Sicherheitsrat vertretenen Staaten wie Südafrika fürchten bereits heimliche Absprachen und fordern eine öffentliche Debatte über den Waffenbericht. Die soll es am kommenden Dienstag auch geben.