Französische Wähler haben es schwer. Nicht, dass die Auswahl bei den Präsidentschaftswahlen am 22. April schlecht wäre. Im Gegenteil. 12 Kandidaten rittern um das höchste Amt im Staate, davon haben diesmal sogar vier eine realistische Chance, in die Stichwahl am 6. Mai zu kommen. Da müsste ja grundsätzlich für jeden etwas dabei sein.
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Das viel größere Problem für den Wähler besteht diesmal darin abzuschätzen, wer von den Kandidaten sich am ehesten mit den eigenen Zielen deckt. Die ehemals starren und klaren Fronten zwischen den Parteien sind nämlich längst verschwommen.
Schon seit langem unternimmt die sozialistische Kandidatin Ségolène Royal Ausflüge nach Rechts und macht sich mit einer harten Law-and-Order-Linie auch für Wähler aus dem bürgerlichen Lager attraktiv.
Der konservative Nicolas Sarkozy wiederum, der lange Zeit als wirtschaftsliberaler Rechter gegolten hatte, kam von diesem Weg wieder ab und erklärte, dass Freihandel nichts anderes sei als "eine Politik der Naivität". Dafür machte Sarkozy seinerseits noch einen Schritt nach rechts und landete damit teilweise in einem Lager, das traditionellerweise eher dem rechtsextremen Jean-Marie Le Pen von der Nationalen Front zugerechnet wird. Des Konservativen harte Linie gegen Immigranten und randalierende Jugendliche resultierten darin, dass sich der früher vielerorts geächtete Le Pen mittlerweile wieder in Gegenden zeigen kann, in denen nun Sarkozy persona non grata ist.
Und was macht der latent ausländerfeindliche Le Pen? Er punktet ausgerechnet bei Sprösslingen von Einwandererfamilien. Motto: Nicht schwarz, nicht weiß, nicht arabisch, sondern französisch. Manch ein armer Immigrant sieht sich zudem durch noch ärmere, die ihm nachfolgen könnten, bedroht.
Der bürgerlich-liberale François Bayrou wiederum zieht durch seinen konzilianten Zentrismus Gemäßigte von links und rechts an sich. Zudem ist er die reinste Freude für taktische Wähler aus beiden Lagern, vor allem die Sarkozy-Verhinderer. Zum einen ist er für die Schar der Sarkozy-Feinde innerhalb dessen konservativer Partei UMP eine akzeptable bürgerliche Alternative, ohne links wählen zu müssen. Zum anderen überlegt manch ein Wähler aus dem linken Lager, Bayrou seine Stimme zu geben, weil diesem in einer Stichwahl bessere Chancen als Royal eingeräumt werden, den derzeit in Umfragen übermächtigen Sarkozy zu schlagen. Bayrou darf nämlich in einem zweiten Wahlgang gegen Sarkozy auf die geschlossene Unterstützung der Linken zählen, während im umgekehrten Fall nicht so viele Bayrou-Anhänger Royal wählen würden.
Auf der anderen Seite könnte Sarkozy in einer Stichwahl ohne Le Pen auf einen beträchtlichen Anteil seiner Stimmen zählen.
Bei diesen Zuständen wundert es nur wenig, dass bereits seit Monaten die Hälfte der Franzosen noch völlig unentschlossen ist, wen sie wählen soll.