Die Wirtschaft strauchelt, die Lira befindet sich im freien Fall.
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Wien/Ankara. Ein verhinderter Putsch, Terroranschläge, Säuberungsaktionen, der Streit mit der EU um den Flüchtlingsdeal: Ankara wird von zahlreichen Krisen gebeutelt. Dazu kommt, dass Staatschef Recep Tayyip Erdogan das Land konsequent in Richtung Diktatur steuert. Und jetzt kommen die wirtschaftlichen Probleme: Der Boom der vergangnen Jahre ist vorbei, die Lira strauchelt, seit Jahresbeginn ist sie im freien Fall. Neun Prozent ging es im Jänner begab, am Freitag dauerte die Talfahrt an. Knapp vier Lira muss man mittlerweile in die Hand nehmen, will man einen Dollar haben, das war im Vorjahr noch für unmöglich gehalten worden. Das schwächt die Wirtschaft insgesamt, am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) rechnet man mit verlangsamtem Wachstum. Im dritten Quartal 2016 ist die türkische Wirtschaft erstmals seit 2009 geschrumpft.
Ramschniveau
Die Türkei leidet unter allgemeiner Verunsicherung. Das Tourismus-Geschäft ist eingebrochen, dazu kommt eine Inflationsrate von rund 8,5 Prozent, die mit den Turbulenzen um den Wechselkurs zusammenhängt. Das alles hat zu großen Kapitalabflüssen geführt. Der weltweit tätige Versicherer Coface, der Unternehmen vor Zahlungsausfällen schützt, warnt Unternehmen vor steigenden Risiken in der Türkei. Die politischen Turbulenzen und die schwache Lira seien beträchtliche Negativfaktoren, in der Länderbewertung wird der Türkei nur noch mit "B" eingestuft und liegt damit weit außerhalb der Top-Kategorien. Investoren müssen befürchten, dass die Ratingagentur Fitch die Bonitätsnote auf Ramschniveau senkt. Moody’s und Standard & Poor’s haben das bereits getan.
Die niederschmetternden Schlagzeilen der letzten Monate setzen dem Fremdenverkehr zu. Erstmals seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der ausländischen Besucher in Istanbul gefallen, und zwar deutlich. Lag sie 2015 bei 12,4 Millionen, fiel sie vergangenes Jahr auf 9,2. Die Auslastung von Hotels ist gering, viele haben überhaupt geschlossen. Auf den den berühmten Bazaren der Stadt herrscht Ruhe, wegen der Anschlagsgefahr stehen rund um die großen Moscheen und auf der Istiklal-Straße schwer bewaffnete Polizisten.
Bei TUI Deutschland ist man immerhin vorsichtig optimistisch, dass die Türkei-Buchungen für den Sommer 2017 leicht bergauf gehen, erfuhr die "Wiener Zeitung". In der Türkei selbst hofft man weniger auf die Deutschen als auf russische Besucher, die nach der Aussöhnung zwischen Wladimir Putin und Erdogan verstärkt erwartet werden.
Unterdessen bereitet der politischen Führung in Ankara ein chronisches Leistungsbilanzdefizit weitere Sorgen. Seit der Jahrtausendwende exportiert das Land fast kontinuierlich weniger, als es importiert. Durch die schwache Lira werden Einfuhren teuer - was einmal mehr die Inflation anheizt.
Auch wenn die türkische Zentralbank gegen den Willen Erdogans die Zinsen anheben sollte, wäre nicht sicher, ob sie damit gegen die aktuelle Lira-Schwäche ankäme. Zweifel daran wurden bestärkt, als die Notenbank im November erstmals seit fast drei Jahren den Leitzins auf das jetzige Niveau von acht Prozent anhob. Die Lira konnten sie dadurch nur vorübergehend stützen, schon bald fiel sie weiter. Die gefährliche Medizin war verabreicht, die Krankheit blieb. Staatschef Erdogan tobte. Die Notenbanker stehen unter großem Druck, der selbstherrliche Präsident pocht auf niedrige Zinsen.
Die Regierung versucht, die Lage in den Griff zu bekommen, indem sie die Banken zur verstärkten Kreditvergabe auffordert. Die Finanzinstitute sollten jedem Unternehmen Darlehen gewähren, das auch nur das "geringste Lebenszeichen" zeige, lautet die Vorgabe von Vize-Ministerpräsident Nurettin Canikli. Die Regierung hatte im Dezember einen staatlichen Garantiefonds für Kreditgeschäfte im Volumen von umgerechnet 61 Milliarden Euro aufgelegt, den Banken bei der Darlehensvergabe an Unternehmen in Anspruch nehmen können. Und es seien schon beträchtliche Summen abgerufen worden, versichert Canikli.