Nach den Ausschreitungen bei der Identitären-Demo am Samstag sagt das Mumok eine Veranstaltung mit deren Wiener Obmann ab.
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Wien. "Es gab eine konkrete Drohung via Twitter; eine Durchführung der Veranstaltung hätte unter Umständen eine Gefahr für das gesamte Podium und das Publikum bedeutet." So dramatisch klingt der Eintrag des Künstlerkollektivs Wiener Achse, das Sonntagabend auf ihrer Facebook-Seite gepostet wurde. Ihre für Dienstagmittag geplante Podiumsdiskussion "Markt der Ideologie" im Wiener Museum Moderne Kunst Stiftung Ludwig (Mumok) ist damit abgesagt. Die Veranstaltung löste bereits im Vorfeld massive Diskussionen in den sozialen Medien aus. Der Grund: die Einladungspolitik der Veranstalter. So zählte zu den Podiumsgästen auch Martin Sellner, Leiter der Wiener "Identitären."
Die Veranstalter würden Nazis eine Plattform geben und einen angstfreien Austausch mit Faschisten ermöglichen, so die Kritik aus dem Netz. Man warf ihnen gar vor, mit der Ideologie der Rechtsextremen zu sympathisieren. "Die Wiener Achse distanziert sich eindeutig von rechtem Gedankengut", heißt es in dem Facebook-Eintrag. Persönlich Stellung wollten die Initiatoren am Montag gegenüber der "Wiener Zeitung" nicht nehmen. Man werde sich in den nächsten Tagen an die Öffentlichkeit wenden, heißt es da nur.
Unterdessen bemüht man sich im Mumok um Schadensbegrenzung. Das sei alles unglücklich gelaufen, gesteht der stellvertretende Direktor Rainer Fuchs im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Es wäre unverantwortlich, wenn wir einem Rechtsextremen ein Podium bieten." Man habe der Wiener Achse vertraut und nicht genau hingesehen, wer an der Diskussion teilnimmt. Das sei erst am Sonntagabend aufgefallen, meint Fuchs. "Die Entwicklungen der letzten Zeit haben gezeigt, dass man nicht ausschließen kann, dass es Protestaktionen und Tumulte gegen die Rechte geben könnte, die man sicherheitstechnisch nicht verantworten könne", sagt Fuchs. Den Eindruck, dass die Veranstaltung lediglich aus Sicherheitsgründen abgesagt wurde, möchte er vermeiden: "Das wäre ein fataler Eindruck. Es ist nicht so, dass wir nur aus Sicherheitsgründen unsere Bedenken haben, sondern auch aus kulturpolitischen Gründen."
Bilder, wie sie am Samstag bei einem Demonstrationszug der "Identitären" am Gürtel zu sehen waren, will man im Museumsquartier vermeiden. 1000 Identitäre, die 1000 Gegendemonstranten gegenüberstehen, und dazwischen 1000 Polizeibeamte. Zu "massiver Gewalt" sei es laut Polizei am Neubaugürtel gekommen. Das höhere Gewaltpotenzial sei von Seiten der Linken ausgegangen, behauptet die Polizei, die mit diversen Wurfgeschossen wie Steinen, Flaschen und Eisenstangen attackiert worden sein soll. Die Polizei reagierte mit Pfefferspray, um sich gegen die Übergriffe zu verteidigen. Zu unverhältnismäßig meinen Beobachter, die gesehen haben, wie sich die Polizei die Demonstrationsroute der Identitären, die von Gegendemonstranten blockiert wurde, regelrecht freigesprayt hat, um vorwärts zu kommen.
Journalist verletzt
Zwei Schläge in die Rippen hat er bekommen, erzählt Gerhard Tuschla. "Dabei habe ich laut ‚Journalist‘ geschrien und ihnen den Presseausweis hingehalten", berichtet der 66-Jährige, der freiberuflich für den ORF arbeitet. "So etwas habe ich seit den Opernballdemos nicht mehr erlebt", sagt er. Auch sein Kameramann habe ein paar Schläge von den Beamten abgekommen. "Es geht mir um die Pressefreiheit, ich sehe, dass wir von der Polizei blockiert werden. Wenn sie einen Drogendealer schnappen, machen sie eine Pressekonferenz wegen einem Packerl Haschisch. Wenn es ihnen nicht genehm ist, dann blocken sie ab", kritisiert Tuschla.
Polizeisprecher Thomas Keiblinger bestätigte den Angriff auf den Journalisten im Ö1-"Mittagsjournal" und entschuldigte sich für etwaige Verletzungen. Alles in allem sei der Polizeieinsatz am Samstag aber als Erfolg zu werten, meinte Keiblinger zur "Wiener Zeitung". Denn das Ziel, dass die beiden Gruppierungen - "Identitäre" und Gegendemonstranten - nicht aufeinandertreffen, sei erreicht worden. Den Pfefferspray-Einsatz findet er nicht übertrieben. Viele der (Gegen-)Demonstranten hätten gegen das Vermummungs- und Bewaffnungsverbot verstoßen, außerdem seien Pyrotechnik zum Einsatz gekommen und Steine geflogen. "Wann, wenn nicht hier, soll die Polizei Pfefferspray einsetzen?" Die Bilanz vom Samstag: sieben Festnahmen, 13 Verletzte.
Mit Blick auf die Versammlungsfreiheit sei auch ein Verbot der Veranstaltung nie angedacht gewesen - immerhin sehe das Gesetz vor, dass Versammlungen nur dann abgesagt werden dürfen, wenn zum Beispiel im Vorfeld Gewalt angedroht oder gegen das Verbotsgesetz verstoßen wird. Immerhin: Eine Anzeige nach dem Verbotsgesetz hat es bei der Demonstration gegeben - gefragt, ob diese und generell die Gewaltausbrüche rund um die Demo Auswirkungen auf zukünftige Veranstaltungen der "Identitären" haben könnten, meint Keiblinger: "Das kann man machen."
Kameras zur Deeskalation
Zur Frage nach der Einschränkung der Versammlungsfreiheit meint Norbert Leonhardmair vom Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung: "Die gegenseitige Anerkennung von Differenzen ist in der Demokratie notwendig und ein zugesichertes Grundrecht für beide Seiten." Die Polizei stehe da irgendwo dazwischen. "Mit Pfefferspray auf die Demonstranten loszugehen trägt nicht zur Deeskalation bei", meint er und empfiehlt der Polizei, ihre "Fehlerkultur nachzuschärfen". Eine Möglichkeit wäre laut Leonhardmair, Körperkameras, wie sie schon seit März vereinzelt im Einsatz seien, auch bei Demonstrationen zu testen. Denn Studien aus Deutschland und Großbritannien würden zeigen, dass dadurch nicht nur die Gewaltbereitschaft bei Polizei und ihrem Gegenüber sinkt, sondern es auch weniger Beschwerden gegen Polizisten gibt, meint er.