"Die Rückstellungen in unserer Bilanz sind allesamt kurzfristig", sagt der Herr Bilanzbuchhalter mit einem gewissen Lächeln. Der Mann hat offensichtlich bereits das neue Budgetbegleitgesetz studiert und nimmt schon jetzt - bei der Bilanz zum Ultimo 2000 - darauf Bedacht.
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Denn im neuen Geschäftsjahr muss er damit rechnen, dass ihm ein Teil seiner alten Langfrist-Vorsorgen steuerlich verloren geht. Deshalb hat er schon für den Jahresabschluss 2000 Behutsamkeit vorgegeben. Bilanzmäßige Vorsorgen für ungewisse Schulden oder mögliche Verluste aus einer Geschäftsabwicklung sind Ausfluss gewissenhafter kaufmännischer Vorsicht. Man weiß noch nichts Genaues, fürchtet aber, dass irgendwann ein finanzielles Risiko für den Betrieb schlagend wird. Man sorgt vor, indem man für möglichen oder wahrscheinlichen Unbill eine Reserve bildet, eine Rückstellung in der Bilanz.
Fiktiver Zinsenvorteil
Die Bildung solcher Rückstellungen geht (zumindest vorläufig) zulasten des Gewinnes, auch des steuerpflichtigen Gewinnes, weil die Reservenbildung für ungewisse Verbindlichkeiten oder drohende Verluste auch Steuerabsetzposten verursacht; Solange, bis sich die bezügliche Rechtslage geklärt hat. Das erfordert Geduld.
Der Finanzminister hat da keine Geduld. Er vermutet in langfristigen kaufmännischen Rückstellungen nur einen (vorläufigen) Steuervorteil des Unternehmers, zumindestens einen Zinsenvorteil für die hinausgezögerte Steuerbelastung. Diesen Zinsenvorteil will er sich für das Budget zunutze machen. Er verlangt eine Abzinsung der langfristigen Rückstellungen, indem er für diese Passivposten einen Pauschalabschlag vorschreibt, der als steuerpflichtig erklärt wird und insofern die steuerabsetzbare Rückstellungsbildung kürzt. Im dazu ergänzten §9 des Einkommensteuergesetzes liest sich das so, dass Rückstellungen, deren Laufzeiten am Bilanzstichtag 12 Monate oder mehr betragen - abweichend von der Handelsbilanz - in der Steuerbilanz nur mit 80% des Buchwertes angesetzt werden dürfen. Die kurze Passage wird durch eine viel längere im §124 b EstG schon auf den Jahresabschluss 2000 (bei abweichenden Wirtschaftsjahren auf den Abschluss 1999/2000) rückprojiziert. Rückstellungen aus 2000, die im Abschluss 2001 vorgetragen werden, werden um 20% gekappt.
Nachversteuerung ab 2001
Dieser (erstmalige) Abschlag muss - beginnend ab 2001 - in jährlichen Fünftelbeträgen nachversteuert werden. In den Erläuterungen zum Gesetz wird dazu als Bilanzierungshilfe die Übertragung auf eine in fünf Jahres-Schritten auflösbare "Auflösungsrücklage" vorgeschlagen. Paradebeispiel für betroffene Vorsorgen sind Prozesskostenrückstellungen, aber auch Reserven für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften. Beide sind in der Regel langfristig und meist betragsmäßig voluminös, so dass der Nachversteuerungseffekt (und die Mehrsteuer) besonders drastisch wirksam werden.
Verstoß gegen Handelsrecht?
Bilanzexperten kritisieren deshalb nicht nur das neuerliche Auseinanderklaffen von Handels- und Steuerbilanz, sondern auch den Umstand, dass das kaufmännische Risiko künftig auch noch mit einer steuerlichen Zusatzbelastung versehen wird. Die Frage, ob kaufmännisch zwingende Vorsichtsmaßregeln durch eine opportunistische Fiskalmaßnahme eingeschränkt werden dürfen, wird wohl erst in vielen Jahren vom Höchstgericht geklärt werden. Bis dahin hat das Budget freilich schon seinen Bakschisch eingefahren.
Eine Palette typisch langfristiger Rückstellungen ist von der neuen Versteuerungsmasche allerdings nicht betroffen. Sozialkapitalrückstellungen, wie Abfertigungs-, Pensions- oder Jubiläumsvorsorgen bleiben vom neuen Steuerschnitt ausgenommen.