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Riskante Berufungsverfahren im Steuerrecht

Von Alfred Abel

Wirtschaft

Ein Steuerbescheid trudelt ein, aber er passt nicht. Man hat ein Steuerguthaben erwartet, aber die Finanz verlangt eine Nachzahlung. Man vergleicht den Bescheid mit der Kopie der Steuererklärung, | findet aber wenig Übereinstimmung. Im Begleittext steht zwar, was die Behörde alles geändert hat, aber er ist in "Steuer-Kisuaheli" abgefasst und man versteht nur Bahnhof. Manchmal gibt's auch gar | keine Begründung und dann bricht die große Ratlosigkeit aus. Man ahnt, was jetzt nötig ist: ein Einspruch.


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Der Einspruch heißt eigentlich Berufung und auf den meisten Steuerbescheiden gibt's dazu eine erläuternde Rechtsmittelbelehrung. Das wichtigste dabei ist die Frist. Normalerweise kann man gegen

einen Steuerbescheid nur innerhalb eines Monats ab Zustellung berufen. Die Frist ist löchrig: Man kann sie verlängern lassen, auch mehrere Male, wenn's not tut; aber irgendwann lässt sich die Finanz

nicht mehr hänseln und setzt eine Deadline oder verfügt eine Zurückweisung.

Besser mit Unterbehörden

Ansprechpartner für den ersten Einspruch ist das Finanzamt, von dem man den Bescheid bekommen hat. Dieses Amt kann eine Vorerledigung zur Berufung herausgeben, eine "Berufungsvorentscheidung",

manchmal sogar zweimal. Wenn man damit einverstanden ist · o.k. Wenn nicht, dann kann man (innerhalb einer · verlängerbaren · Monatsfrist) die Entscheidung der Oberbehörde verlangen und damit beginnt

der Weg in die formalistische Welt der "2. Instanz".

Gewiegte Steuerberater versuchen, diesen "Sprung hinauf" eher zu vermeiden. Einerseits, weil eine Einigung mit den Beamten des Finanzamts oft "amikaler" und kostensparender ist (auch wenn man dabei

ein paar Haare lassen muss), andererseits, weil die Atmosphäre bei den Oberbehörden ungleich "kälter", spitzfindiger und gefährlicher ist.

Verfahren vor dem Senat

Die 2. Instanz residiert in der jeweils zuständigen Finanzlandesdirektion und ist ein komisches Zwitterding. Je nach Art des Steuerbescheides entscheidet ein "Senat" über das betreffende

Rechtsmittel oder ein "Einzelrichter".

Der Senat besteht aus fünf Personen, nämlich aus dem (hochrangigen) Vorsitzenden, dem (niederrangigeren) Berichterstatter · beides Finanzbeamte · sowie drei externen "Laienrichtern", mindestens einer

davon aus der Berufs- oder Interessensgruppe des berufenden Steuerzahlers. Die beiden Beamten sind ex lege weisungsfrei, aber sie sind natürlich keine "Finanzrichter". Die meisten Berufungsverfahren

sind solche vor einem Senat.

Wagnis mündliche Verhandlung

Der Senat verhandelt also über die Berufung des Steuerzahlers und fällt per Abstimmung eine Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Steuerzahlers. Die Verhandlung (nicht aber die Beratung

vor der Abstimmung) kann auch mündlich sein, wenn man dies in der Berufungsschrift ausdrücklich beantragt. Das hat den Vorteil, dass man sein Anliegen überzeugender vortragen kann als am Papier. Es

ist aber wiederum nur dann Erfolg versprechend, wenn man in der gerichtsähnlichen Verhandlung gedanklich und sprachlich wendig ist und einer Diskussion mit den versierten Beamten beikommen kann.

"Monokratische" Verfahren

Neben dem kommissionellen Berufungssenat gibt es das monokratische "Einzelbeamten-Verfahren". Hier werden etwa jene zahlreichen Berufungen erledigt, die im Rahmen von Arbeitnehmerveranlagungen

anfallen (obgleich das rechtlich so nicht geregelt ist). Auch die Rechtsmittel im Familienlastenausgleich, in Zoll-, Gebühren-, Verkehrsteuersachen sowie alles, was mit Steuereinhebungen zu tun hat,

wird hier bearbeitet.

Die Einzelbeamten im monokratischen Verfahren sind übrigens nicht weisungsfrei, müssen also auch Erledigungsvorgaben ihrer vorgesetzten Abteilungsleiter berücksichtigen.

Gefahr der Verböserung

Das Rechtsmittelverfahren in der 2. Instanz · egal ob im Senat oder vor dem Einzelbeamten · endet mit einer endgültigen Berufungsentscheidung. Etwa 60% aller Berufungen werden dabei abgewiesen, in

den restlichen Fällen wird dem Antrag des berufenden Steuerzahlers auf Bescheidänderung ganz oder teilweise entsprochen (den Begriff "Stattgebung" gibt es eigentlich hier nicht).

Manchmal endet das Verfahren mit einer bösen Überraschung für den Einschreiter: Die Oberbehörde kann nämlich den Steuerbescheid "verbösern", also zu Ungunsten des Einschreiters noch nachteiliger

abändern, als dies bereits das Finanzamt getan hat. Dann kann man nur · wenn sich derlei abzeichnet · versuchen, die Berufung zurückzuziehen und lieber still sein.

Das Problem jeder Berufung ist, dass trotz Einspruch der vom Finanzamt vorgeschriebene Nachzahlungsbetrag nicht automatisch gestundet wird. Man muss ihn also entweder (vorläufig) bezahlen oder · was

häufig vorkommt · gleichzeitig mit der Berufung aussetzen lassen, worauf man sogar einen Rechtsanspruch hat.

Beschwerde beim Höchstgericht

Wer mit seinem Berufungswunsch vor der Oberbehörde Schiffbruch erleidet, hat die Möglichkeit, die Berufungsentscheidung vor dem Verfassungs- und/oder Verwaltungsgerichtshof anzufechten. Für eine

derartige Beschwerde braucht man aber schon hochkarätige Beratung und Betreuung durch einen Rechtsanwalt. Vor dem Verwaltungsgerichtshof kann in Steuersachen neuerdings auch ein Wirtschaftsprüfer

vertreten.

Berufungsverfahren innerhalb der Finanz sind nicht teuer: Sie sind weitgehend kostenlos. Erst bei Beschwerden vor den Höchstgerichten beginnt die Kostenuhr zu ticken. Die Eingabe bei Gericht kostet

derzeit 2.500 Schilling, ins Gewicht fallen aber die rechtsfreundlichen Vertretungskosten.

Enorme Verfahrensdauer

Berufungsverfahren sind nichts für Ungeduldige. Alle Behörden sind bekanntlich immer und völlig überlastet, und schon in der ersten Instanz dauert es oft eine gute Weile, bis man · ungeachtet der

sechsmonatigen Entscheidungspflicht · eine Erledigung bekommt. Verfahren vor der Finanzlandesdirektion können manchmal bis zu 4 Jahren dauern und wer schließlich die Höchstgerichte bemüht, muss im

Schnitt nochmals mindestens 3 Jahre zulegen. 10 Jahre Verfahrens-Dauer · vom Steuerbescheid bis zum Erkenntnis des Höchstgerichts · sind keine Seltenheit. Beim Verwaltungsgerichtshof liegen derzeit

etwa 9.300 Beschwerdeakten unerledigt, eine Anzahl davon datiert noch aus dem Jahr 1993. Mancher Berufungswerber ist da inzwischen schon verstorben.