Kosovo-Verhandlerteam übergibt Bericht an die UNO. | Belgrad bereitet Blockaden und Sanktionen vor. | Europäische Union ringt um eine gemeinsame Position. | Wien/Pritina. Nach den langen Monaten des Stillstands gerät die politische Situation im Kosovo in Bewegung: Für die Mehrheitsbevölkerung der Albaner hat ein Countdown eingesetzt, an dessen Ende - darüber herrscht Einigkeit - der Start in eine stolze Zukunft der Selbstbestimmung steht. In Belgrad bereitet man sich unterdessen auf eine Art nationalen Abwehrkampf vor, der die Sezession der südserbischen Provinz unter allen Umständen verhindern soll. Dabei sind Serbiens Politiker längst in die Defensive gedrängt, man muss sich darauf beschränken, hinhaltenden Widerstand zu leisten, die Entwicklungen zu verzögern und Sand ins Getriebe zu streuen.
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Warten auf den Tag X
Internationale Beobachter erwarten, dass die Regierung in Pritina die Unabhängigkeit im Laufe des Februar, vielleicht auch erst im März ausrufen wird. Der künftige kosovarische Premier Hashim Thaci, einst ungestümer UCK-Rebell, hat gegenüber den Vereinten Nationen bereits versichert, dass man behutsam vorgehen, alle Schritte so weit wie möglich international abstimmen werde.
Der Lauf der Dinge ist dabei weitgehend vorgezeichnet: Am heutigen Freitag wird das internationale Kosovo-Vermittlerteam das Ergebnis der Gespräche zwischen Serben und Kosovo-Albanern dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in Form eines Berichts vorlegen. Dieser leitet das Papier dann an den UN-Sicherheitsrat weiter. Allerdings ist der Bericht inhaltlich ohne große Bedeutung, er fasst lediglich die gegensätzlichen Positionen der Serben und der Albaner zusammen, Schlussfolgerungen werden nicht gezogen. Ein aussagekräftigerer Vorschlag des finnischen UN-Verhandlers Martti Ahtisaari ist bereits im Frühjahr am Widerstand Russlands im Sicherheitsrat gescheitert. Moskau, aus historischen Gründen der engste Verbündete Serbiens, steht unverrückbar auf dem Standpunkt, dass man keinem Beschluss zustimmen könne, der nicht sowohl von serbischer als auch von albanischer Seite gutgeheißen wird.
Rechtlich bedenklich
Diplomaten kalkulieren, dass die Frage des künftigen Status des Kosovo noch vor Weihnachten im UN-Sicherheitsrat - ergebnislos - behandelt wird. Ab diesem Zeitpunkt muss dann täglich mit der Proklamation der Unabhängigkeit durch Pritina gerechnet werden. Damit würden die Kosovaren in einem völkerrechtlich höchst problematischen Schritt neue Tatsachen schaffen. Ein solcher Schritt ist deshalb möglich, weil international einflussreiche Staaten wie die USA bereits angedeutet haben, dass sie eine Unabhängigkeit der serbischen Krisenprovinz unterstützen würden.
Angesichts der Perspektive, dass in Serbien im Jänner 2008 Präsidentschaftswahlen stattfinden, könnten die Kosovo-Albaner auf internationalen Druck mit der Ausrufung der Unabhängigkeit allerdings noch bis Februar oder gar März zuwarten. Denn eine vorschnelle Unabhängigkeit könnte Belgrad in einen patriotischen Taumel versetzen und dem Kandidaten der Ultranationalisten Tomislav Nikolic Siegerchancen eröffnen. Ein Szenario, an dem man vor allem in Europa nicht interessiert ist.
Ist die Unabhängigkeit einmal erklärt, wird die UNO, die den Kosovo verwaltet, die Verantwortung für Verwaltung der EU übertragen, wie das schon im Ahtisaari-Bericht vorgesehen ist. Das Problem hierbei ist, dass die EU uneins ist. Länder wie Spanien, Rumänien, Griechenland, vor allem aber Zypern, die mit Minderheitenkonflikten kämpfen, fürchten "Nachahmereffekte" im eigenen Land und sind gegen die Sezession des Kosovo. Zuletzt hat auch die Slowakei klar gemacht, dass man eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit durch Pritina nicht unterstützen wird.
Am 10. Dezember will der EU-Vertreter der Kosovo-Vermittler-Troika, Wolfgang Ischinger, die EU-Außenminister über den Stand der Dinge unterrichten. Diese werden in der Folge verzweifelt bemüht sein, doch noch zu einem gemeinsamen Standpunkt zu kommen - die Zeit drängt. Den skeptischen EU-Staaten wird jedenfalls von verschiedenen Völkerrechtlern erklärt, dass ein unabhängiger Kosovo keinen Präzedenzfall für abtrünnige Regionen wie etwa das Baskenland darstellen würde.
Die große Frage ist, wie Serbien auf die ihrer Ansicht nach unzulässige Sezession reagieren wird. Ein Krieg im konventionellen Sinn ist auszuschließen. Belgrad könnte aber den Personen- und Warenverkehr zum Kosovo blockieren und die Staaten, die die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen, mit diplomatischen Sanktionen belegen. Nicht unwahrscheinlich ist auch, dass sich der serbisch besiedelte Norden des Kosovo seinerseits abspaltet und den Anschluss ans Mutterland vollzieht.