Widersprüchliche Aussagen des Wächterrats. | Montazeri kündigt Staatstrauer für Todesopfer an. | Teheran/Wien. Im Iran geht das Tauziehen um die Rechtmäßigkeit der 10. Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni auf der Straße und in der großen Politik in die nächste Runde.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Auch am Montag und Dienstag zogen - aufgrund der harten Vorgangsweise der Militärs zwar deutlich weniger aber immerhin noch- tausende Menschen durch die Straßen des Landes, um gegen den Wahlbetrug und für ihren Kandidaten, den unterlegenen Mir Hossein Moussavi zu demonstrieren. In den vergangenen Tagen waren bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei dutzende Menschen getötet und hunderte verletzt worden.
Der neue, alte Präsident Mahmoud Ahmadinejad und sein Kabinett sollen zwischen dem 26. Juli und dem 19. August ihren Amtseid ablegen.
Appell von Ban Ki Moon gegen Gewalt
Nach der EU und den USA rief am Dienstag auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Regierung in Teheran zu einem Gewaltverzicht und zur Einhaltung der Grundrechte auf. Die iranische Menschenrechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi forderte in Brüssel keine wirtschaftlichen, sondern politische Sanktionen gegen Teheran. "Die EU-Staaten sollten nicht mit dem Iran verhandeln und keine Mitglieder der iranischen Regierung treffen, bis die Gewalt ein Ende hat und Neuwahlen stattfinden."
Teherans Führung reagierte verärgert und drohte damit, die diplomatischen Beziehungen zu einigen Ländern wie Großbritannien und Italien, "die es einfach nicht kapieren und sich unentwegt in die inneriranischen Angelegenheiten einmischen würden", zu überprüfen.
Anhänger Ahmadinejads haben zu einer Demonstration vor der britischen Botschaft in Teheran aufgerufen, um gegen die angebliche Einmischung Großbritanniens zu protestieren. London holt jedenfalls schon die Angehörigen des diplomatischen Personals nach Hause.
Sondergerichte gegen Demonstranten
Auch politisch rücken Teherans Hardliner von ihrem Kurs keinen Deut ab. Die Justiz hat volle Härte gegen die Demonstranten angekündigt. Dafür wurden sogar Sondergerichte geschaffen.
Der zuständige Wächterrat hat die Meldungen vom Montag, wonach in 50 Städten die Zahl der abgegebenen Stimmen höher gewesen sei als die der Wahlberechtigten, dementiert. Das offizielle Ergebnis des umstrittenen Urnengangs wurde am Dienstag bekräftigt und eine Annullierung der Wahl erneut abgelehnt. Bei einer Überprüfung seien nur unbedeutende Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe festgestellt worden, sagte Sprecher Abbas Ali Kadkhodaei.
Die widersprüchlichen Meldungen des Gremiums deuten darauf hin, dass auch der Wächterrat von der tiefen Spaltung in Irans Führung nicht verschont bleibt und offenbar keiner einheitlichen Linie folgt.
Ghom: Bündnis gegen obersten Führer?
Beim Richtungsstreit zwischen Konservativen und Reformern wurde am Dienstag nicht nur in der Weltpresse, sondern auch im Inneren des Iran vor allem eine Frage sehr heiß diskutiert: Wo ist die Nummer zwei in Irans Machtapparat, Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani und was plant er hinter den Kulissen? Anzeichen für einen Machtkampf in der religiösen Führungselite verdichteten sich.
Ein Geistlicher in der heiligen Stadt Ghom, dem Zentrum der Macht der Mullahs, gab am Dienstag im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" an, dass Rafsanjani seit Tagen intensive Gespräche mit einflussreichen Geistlichen in Ghom führe. "Er will sie für einen Plan begeistern, der vorsieht, dass der oberste Geistliche Führer, Ayatollah Ali Khamenei, nach seiner Schützenhilfe für Ahmadinejad deutlich an Einfluss verlieren soll", erläutert er.
"Die Geistlichen in Ghom haben nicht vergessen, wie Khamenei 1989 ohne ausreichende Bildung zum Führer ernannt wurde. Seinen demonstrativer Abstand zur Ahmadinejad-kritischen Linie Ghoms und seine, wie viele meinen, Arroganz gegenüber den Ayatollahs hier ist vielen noch schlecht in Erinnerung und nicht verziehen. Auch Teile der Armee haben sich bereit erklärt, Rafsajani bei seinen Plänen zu unterstützen", berichtet der Geistliche weiter.
Offenbar als Schutz vor kritischen Angriffen der religiösen Elite will auch Khamenei, so hört man aus Teheran, das Freitagsgebet wie bereits letzte Woche selbst leiten.
Khamenei will wieder Freitagsgebet leiten
Die Signalwirkung all dieser Schritte ist jedenfalls immens: Das heilige Gebet in der iranischen Millionenmetropole wird nämlich nur dann von der Nummer eins (Khamenei) oder Nummer zwei (Rafsanjani) geleitet, wenn es dazu einen besonderen (religiösen oder politischen) Anlass gibt.
Unterdessen hat der beliebte Großayatollah Montazeri für 24. bis 26. Juni eine dreitägige Staatstrauer im Gottesstaat ausgerufen. Moussvai will dies für einen politischen Akt nutzen: Er forderte seine Anhänger auf, bei Trauerkundgebungen mit Kerzen und grünen Armbändern die Anliegen der Opposition zu transportieren.