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Risse im Gebälk von MERCOSUR

Von Marcela Valente

Politik

Buenos Aires - Angesichts ernsthafter wirtschaftlicher Disparitäten diskutieren Argentinien und Brasilien über eine vorübergehende Aufhebung der Zollunion innerhalb des Gemeinsamen Südamerikanischen Marktes (MERCOSUR). Über die Reform muss noch formell abgestimmt werden.


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Wie stark die Wechselkurse der beiden größten MERCOSUR-Partner auseinander klaffen, lässt sich am Preis für einen Hamburger nachvollziehen: In Argentinien kostet ein Big Mac 2,50 US-Dollar, in Brasilien hingegen nur 1,33 Dollar. Analysten warnen, dass sich derlei Wechselkurs-Disparitäten innerhalb des MERCOSUR nicht durch die Aufhebung der gemeinsamen Importzölle lösen lassen. Ein solcher Schritt werde nur neue Probleme schaffen.

1991 hatten sich Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay zu der Freihandelszone zusammengeschlossen. Vier Jahre später entstand die Zollunion. Damals einigte man sich auf einen gemeinsamen Zollsatz - er liegt derzeit bei 13,5 Prozent - für eine Reihe von Gütern, die aus Ländern außerhalb des Handelsblocks importiert werden. Als Argentiniens Wirtschaftsminister Domingo Cavallo vor einigen Monaten vorschlug, man solle den gemeinsamen Außenhandelszoll des MERCOSUR abschaffen, wurde er selbst in der eigenen Regierung kritisiert.

Diesmal war es der brasilianische Minister für Entwicklung, Wirtschaft und Handel, Sergio Amaral, der denselben Vorschlag machte, wenn auch für eine Übergangszeit, bis sich die Lage stabilisiert hat. Einen Tag später preschte Argentiniens Industrieverband (UIA) noch weiter vor und erklärte: "Wir sind der Meinung, man sollte den Handelsblock MERCOSUR vorübergehend außer Kraft setzen, damit Argentinien die Möglichkeit erhält, an der Außenhandelsfront wieder Land zu gewinnen." Der Wirtschaftsverband beeilte sich zu versichern, es gehe ihm nicht darum, den MERCOSUR abzuschaffen.

Argentinien und Brasilien, die beiden Schwergewichte des Gemeinsamen Südamerikanischen Marktes, sollten erst einmal ihre makroökonomische Politik aufeinander abstimmen, forderte die Industrielobby. Auf die Ergebnisse der dazu erforderlichen langen Verhandlungen könnten Produktion und Arbeitsmarkt in Argentinien allerdings nicht warten.

Deshalb solle man Argentinien aus den gemeinsamen Zollvereinbarungen aussteigen lassen, damit es seinen Markt nach den Regeln der Welthandelsorganisation vor Auslandsimporten schützen kann, forderte der argentinische Industrieverband.

Mit dem Hinweis auf die zahlreichen Ausnahmeregelungen und Änderungen, die es in der Zollunion gibt, erklärte sich auch die argentinische Außenhandelskammer mit dem Vorschlag einer Aussetzung einverstanden.

UIA-Präsident Ignacio de Mendiguren sprach von dem verzweifelten Druck, der auf bestimmten Wirtschaftssektoren wie der Lebensmittel-, Textil-, Schuh-, Bekleidungs-, Holz- und Stahlindustrie lastet. Sie fürchten die Konkurrenz der brasilianischen Importe, die ihre Preise unterbieten.

1999 kosteten - auf Dollarbasis - der brasilianische Real und der argentinische Peso gleich viel. Doch im Januar 1999 begann Brasilien mit der Abwertung seiner Währung, während Argentinien seinen festen Wechselkurs beibehielt. Inzwischen klafft zwischen den beiden Landeswährungen eine tiefe Lücke.

Ein argentinischer Peso lässt sich weiterhin gegen einen US-Dollar eintauschen, für einen brasilianischen Real gibt es nur noch 0,37 US-Cent. Wegen des ungleichen Währungsverhältnisses wird es für Argentinien immer schwieriger, seine Waren in Brasilien, seinem wichtigsten Markt, zu verkaufen. Umgekehrt sind die günstigen brasilianischen Exporte nach Argentinien gestiegen.

Dennoch wollen Wirtschaftsexperten von einem Kurswechsel im strategischen Integrationsprozess von MERCOSUR nichts wissen. Immerhin hatte die lateinamerikanische Handelsunion zu ihren besten Zeiten sowohl den Handel innerhalb wie außerhalb des Blocks sowie den Investitionsfluss kräftig gefördert.

Es mache keinen Sinn, einen Zusammenhang zwischen dem gemeinsamen Importzoll und den Währungsschwankungen zu konstruieren, betont der Wirtschaftswissenschaftler Roberto Frenkel, in einem Gespräch mit IPS. Wenn MERCOSUR den gemeinsamen Zoll aufgebe, werde er bei den laufenden Verhandlungen mit der Europäischen Union und anderen Freihandelszonen seine Glaubwürdigkeit einbüßen. Weit dringlicher sei es, etwas gegen das Währungsgefälle zwischen Argentinien und Brasilien zu unternehmen. Eine Abwertung des Peso wolle Argentinien aber um jeden Preis vermeiden, betonte Frenkel.

Die innerhalb des MERCOSUR herrschende Krisenstimmung ist keineswegs neu. Als der Real im Januar 1999 seinen ersten Kurssturz erlebte, beschwerte sich Argentinien darüber, dass viele argentinische Betriebe wegen der jetzt niedrigeren Produktionskosten nach Brasilien abwanderten.

Seit 33 Monaten schon steckt Argentinien in einer Rezession, eine Entwicklung, die die Spannungen innerhalb des MERCOSUR noch verstärkt. "Der Binnenmarkt existiert praktisch nicht mehr, und ohne Exportpreise, die es mit den brasilianischen aufnehmen können, müssen unsere Unternehmen aufgeben", meint der argentinische Wirtschaftssprecher De Mendiguren.

Argentiniens Wirtschaftsminister Cavallo hat bereits erklärt, er sei erfreut, dass Brasilien über eine zeitweilige Aufhebung der Zollunion diskutieren will. UIA, der argentinische Industrieverband, verdächtigt Cavallo, er denke an eine Auflösung des gemeinsamen südamerikanischen Marktes, weil er stattdessen mit den USA ein Freihandelsabkommen aushandeln wolle.

Der Wirtschaft dagegen gehe es, so versichert De Mendiguren, wirklich nur um eine vorübergehende Suspendierung der gemeinsamen Importzölle, um MERCOSUR auf lange Sicht zu retten. "So als würde man ihn eine Zeit lang in eine Tiefkühltruhe stecken, damit er sich länger hält und nicht verdirbt." IPS