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Ritueller Kunststreit

Von Ine Jezo-Parovsky

Politik

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Für ideologische Auseinandersetzungen sorgten sie noch jedes Mal, die Kunst- und Kulturdebatten im Hohen Haus. Gleich zu Beginn der Parlamentssaison aber heizte der vergangene heiße Kultursommer,

oder besser gesagt die Orgien- und Mysterienspiele des Hermann Nitsch, das Klima im Plenum am 18. September besonders an. Es kam zu heftigen Diskussionen zwischen den Freiheitlichen und den anderen

Fraktionen.

Die Verteilung der Geldmittel

Dabei stand eigentlich die Debatte zum Kunstbericht 1996 auf der Tagesordnung. Er ist völlig neu gestaltet, übersichtlich und klar gegliedert. Was auch Grüne und Liberale als durchaus positiv

bewerteten. Beide Fraktionen stimmten dem Bericht dennoch nicht zu. Begründung: Das Konzept von Bundeskanzler Klima, die Kulturpolitik zur Chefsache zu erklären, sei gescheitert. Klimas Tätigkeit, so

kritisierte die Vorsitzende des Kulturausschusses, Heide Schmidt, habe sich ausschließlich auf die Eröffnung von Festspielen beschränkt. Daher müsse wieder ein eigenes Ministerium geschaffen werden.

Schmidt forderte darüberhinaus die Errichtung eines Stiftungssystems zur Verteilung der Geldmittel, vor allem aber eine Planung im Voraus. In den Niederlanden, so Schmidts Vorschlag, gebe es ein

Kulturkonzept für die ganze Legislaturperiode. Was sie sich auch für Österreich wünschen würde. Denn dann könnte das Parlament im Vorhinein über Schwerpunktsetzungen diskutieren und nicht, so wie

derzeit, im Nachhinein, wenn alles vorbei ist.

Künstlereinkommen oft unter Armutsgrenze

Eine Stagnation des Kunstbudgets kritisierte die Klubobfrau der Grünen, Madeleine Petrovic. Denn einer geringen Steigerung stünden höhere Abgaben und die kostenaufwendigen Werkvertragsregelungen

gegenüber. Gleichzeitig würden Künstler immer mehr auf den freien, oft knallharten Markt verwiesen, wobei der Staat nicht wisse, was sich in diesen Bereichen tut. Im Übrigen vermisse sie Statistiken

zu den Problemen von Vermarktungsstrukturen und zur sozialen Situation der Kulturschaffenden, die oft schon bei geringem Verdienst in die Sozialversicherungspflicht fallen, wobei die Abgaben manchmal

höher seien als der Verdienst.

Unterstützt wurden die zwei kleineren Oppositionsparteien von der SPÖ-Abg. Sonja Ablinger. Auch sie meinte, daß es Sinn machen würde, von vornherein festzulegen, welche Aktivitäten und welche Ziele

in den nächsten Jahren gesetzt werden sollen. Kleine Kulturschaffende, die ums Geld raufen, müßten dabei mehr berücksichtigt werden. Es könne, so Ablinger, auch nicht Aufgabe kleiner Theater sein,

"von Pontius zu Pilatus zu laufen", um die nötigen Geldmittel aufzutreiben.

Kurz gestreift wurde die soziale Lage der Künstler auch noch von ÖVP-Kultursprecher Franz Morak, der auch kritisierte, daß nicht klar sei, wieviel Kunstgeld die Künstler erreiche und wieviel in der

Verwaltung bleibe. Der Rest seiner Rede · und das war der Hauptteil · war allerdings einem anderen Problem gewidmet: Dem Parieren scharfer Attacken der Freiheitlichen gegen die Regierungsparteien.

Und damit waren im Grunde genommen alle Redner beschäftigt.

Aufreger Nitsch und Mühl

Denn schon zu Beginn der Debatte hatte FPÖ-Kultursprecher Michael Krüger anklingen lassen, wohin seine Fraktion die Diskussion lenken würde. Hermann Nitsch, so betonte er, habe seinen Stellenwert

im Aktionismus. Aber es könne nicht sein, daß Rinder rituell abgeschlachtet werden. Der SPÖ warf Krüger vor, die Kultur für Parteizwecke zu mißbrauchen und damit ein Netzwerk ihrer Ideologie zu

errichten. Der ÖVP warf er Doppelzüngigkeit vor, weil sie einerseits Bedenken gegen Otto Mühl einbringe, das Außenministerium aber eine Wanderausstellung unter anderem mit Mühlbildern mit 800.000

Schilling gefördert hätte. Das Konzept der Freiheitlichen, nämlich das Generalthema vorzugeben, ging damit auf.

Schon der Zweitredner, der Kultursprecher der SPÖ, Josef Cap, widmete die meiste Zeit seiner Rede einer Entgegnung. "Das war hier kein Kulturbeitrag", bemerkte er gleich zu Beginn, "sondern ein

Empörungsritual von Krüger." Nitsch, so Cap weiter, brauche Krüger, Stadler und Haider, um seine Werke rituell verkaufen zu können. Und eigentlich müsse Nitsch einen Dankesbrief an die Freiheitlichen

schicken.

Fazit: Die Auseinandersetzungen schaukelten sich auf, konstruktive Überlegungen zur Kunst- und Kulturpolitik traten in den Hintergrund. Immer wieder traten Freiheitliche ans Rednerpult, um ihrer

Empörung mit Fakten Ausdruck zu verleihen. Sie zeigten die umstrittenen Bilder von Otto Mühl, sie zitierten Texte von Hermann Nitsch und forderten vehement die Einstellung staatlicher Förderungen an

diese Künstler. Mit dem Erfolg, daß manche Redner, wie etwa der Liberale Volker Kier, ihre Redezeit zur Gänze für Erwiderungen aufbrauchten.

Wieviel Freiheit braucht die Kunst?

Schließlich gelang es dem ÖVP-Abg. Morak, den Freiheitlichen ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen. Kunst, so sein Appell, sei doch eine Fiktion, nichts anderes. Im Übrigen sei Otto Mühl für

seine Verbrechen (Mißbrauch von Minderjährigen · Anmerkung der Redaktion) sechs Jahre lang gesessen. Aber derjenige, der für die Vergewaltigung der Frauen, der Kinder Werbung gemacht habe, das sei

der jetzige Freiheitliche Europaabgeordnete Sichrovsky gewesen · so Morak.

Zur Erklärung: Otto Mühl hatte in einem "NEWS"-Interview gesagt, Sichrovsky habe seinerzeit seine Kommune im Umgang mit Medien beraten. Sichrovsky bestreitet das vehement. "Halten Sie unsere

Künstler aus", appellierte Morak in seiner Nationalratsrede abschließend, "sie sagen oft die Wahrheit. Wir halten Sie", meinte er in Richtung FPÖ, "auch aus, und Sie sagen verhältnismäßig oft die

Unwahrheit."

FPÖ-Chef Jörg Haider versuchte daraufhin noch einmal, das Ruder herumzureißen. Keine andere Partei, wetterte er, habe Nitsch "so brutal angegriffen, wie die ÖVP". Und dann stelle sich ihr

Kultursprecher Morak heraus und verteidige solche Künstler.

Freiheit der Kunst ja, so Haider, aber die Grenze der Freiheit der Kunst sei dort gegeben, wo sie Menschenrechte und religiöse Gefühle verletze. Immerhin versandete die Aufregung daraufhin.

Staatssekretär Peter Wittmann betonte, die Freiheit der Gesellschaft sei daran abzulesen, wie mit Künstlern umgegangen wird. Ein Bekenntnis für die Freiheit der österreichischen Künstler sei auch ein

Bekenntnis zur Freiheit der österreichischen Gesellschaft.Õ

Ine Jezo-Parovsky ist Mitarbeiterin der ORF-Parlamentsredaktion

OKTOBER 1998